Arcanum – Das Geheimnis
maximale Auflösung und Carolin sprach aus, was er ungläubig betrachtete.
„Es ist die Aureliuskirche!“
Konnte es ein Zufall sein? Was hatten die GPS-Koordinaten der Aureliuskirche auf dem Rad des Adeodatus verloren, das über tausend Jahre alt war?
„Was ist denn daran so seltsam?“, fragte Carolin.
Er schaute sie irritiert an.
„Helene Wallinger hat die unheimliche Bedeutung Hirsaus erkannt, und Du hast eben selbst gesagt, dass es besondere Menschen gibt, für die die Zeit kein unüberwindbares Hindernis ist“.
„Ich habe das mehr symbolisch gemeint. Derart, dass sehr sensible Menschen eventuell gewisse Strömungen erkennen, die dann bestimmte Ereignisse in der Zukunft wahrscheinlich machen“. Sven schwieg. Er suchte verzweifelt nach einer Erklärung, die nicht sein gesamtes Weltbild ins Wanken brachte.
„Quatsch. Du redest schon wieder wie Christopher. Wer kann gewisse Strömungen erkennen, die tausend Jahre später zu exakt zwei sechsstelligen Codes führen. Akzeptiere einfach das Naheliegendste“.
„Und das ist ein mittelamerikanischer Indio des ersten Jahrtausends, der hierher in die Zukunft reist, sich ein GPS-Gerät schnappt, es intuitiv bedient und dann zurückfliegt, um die Koordinaten aus dem ihm unbekannten Dezimalzahlensystem auf seine Kalenderscheibe zu übertragen. Dann lässt er sie in einer ihm unbekannten Welt, achttausend Kilometer entfernt jenseits des Atlantiks dort fallen, wo wir sie später finden sollen?“, erwiderte er mit einem gequälten Gesichtsausdruck.
„Männer!“, war Carolins energischer Kommentar. „Du und Christopher, ihr versucht immer Dinge, die außerhalb eures positivistischen Horizontes liegen, mit eurer Technokratensprache zu beschreiben, und nur dann klingt es paradox und lächerlich.“
Er schwieg, denn ein Streit war das Letzte, was er wollte. Außerdem musste er zugeben, dass Männer wie er und Christopher tatsächlich seit ihrer Kindheit dahin getrimmt worden waren, alles zu leugnen, was nicht messbar, beherrschbar, beschreibbar war. Jungs spielten mit elektrischen Eisenbahnen, wo es genügte, Schienen zusammenzustecken, den Travo einzustecken, und die Lok auf die Gleise zu setzen, und schon lief alles reibungslos.
Doch er hatte die leidvolle Erfahrung gemacht, dass das Leben und Menschen so nicht funktionierten. War es an der Zeit, das endlich zuzugeben?
„Okay. Nehmen wir an, das wahre Kreuz ist in der Aureliuskirche versteckt. Was hältst Du davon, wenn wir gleich hinfahren und uns in der Kirche mal umsehen. Sie liegt ohnehin auf dem Weg zum Haus Deiner Mutter.“
„Einverstanden. Fahren wir.“ Sie verließen die Praxis und fünfzehn Minuten später rollten sie auf den Parkplatz vor der Kirche. Sie war offen und um diese Zeit menschenleer. Es dauerte eine Minute, bis sich ihre Augen an das Dämmerlicht der alten, romanischen Gemäuer mit den kleinen, bunten Fenstern gewöhnt hatten. Auf einem Ständer im Chorraum des Seitenschiffes flackerten rote Opferkerzen im Luftzug.
„Lass uns einfach nach Orten Ausschau halten, an denen man ein Stück Holz von der Dicke und Länge eines Oberschenkels über Jahrhunderte sicher verstecken würde“, flüsterte Sven ihr ins Ohr.
„War das Kreuz nicht viel größer?“, wunderte sich Carolin.
„Natürlich. Ich gehe aber einfach davon aus, dass es ungefähr die gleichen Maße hat wie das Stück, das Saladin erbeutete“.
Carolin nickte, und sie schritten getrennt die beiden Seitenschiffe ab. Sie blieb vor der romanischen Maria mit Kind stehen, die vor dem Opferkerzenständer in einer Nische der Wand befestigt war. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, denn sie war aus bemaltem Holz und entsprach ungefähr den angenommenen Maßen der Kreuzreliquie. Sven hatte die Grabplatte im Mittelschiff ins Visier genommen, die im Fußboden eingelassen die letzte Ruhestätte Bertholds des Ersten von Zähringen bezeichnete, der im Jahre 1078 gestorben war und zur Verwandtschaft jenes Gebhards gehörte, welcher Adeodatus in Konstanz aufgenommen hatte. Die darunter liegende Gruft wäre in höchstem Maße als Versteck geeignet.
Sie trafen sich in der Mitte vor dem Altar und Carolin flüsterte ihm aufgeregt ihre Entdeckung ins Ohr. Er schaute in Richtung der Nische und nickte zustimmend. Dann berichtete er über die Grabplatte und erklärte Carolin die Dynastie der Zähringer. Sie gingen am bronzenen Reliquienschrein des heiligen Aurelius vorbei und verließen gemeinsam die Kirche. Carolin blinzelte in das grelle
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