Arcanum – Das Geheimnis
Offensichtlich gibt es dort etwas, mit dem wir das Kreuz vervollständigen müssen. Das Kreuz selbst müssen wir natürlich auch noch aufspüren. Herr Gryphius entwickelt gerade einen Plan, wie wir das Artefakt in der Aureliuskirche bergen können“.
„Worauf warten wir noch?“
„Lass uns erst einmal überlegen, nach was wir auf dem heiligen Berg im Elsass überhaupt suchen. Die lange Geschichte des Ortes könnte ein paar Anhaltspunkte liefern“.
„Das Kloster der heiligen Odilie liegt auf 763 Metern über dem Rheintal. Man hat eine tolle Aussicht von da oben. Die Römer nannten den Odilienberg Altitone, im Mittelalter hieß er Hohenburg. Odilia war die Tochter des merowingischen Herzogs Eticho und wurde nach einer Legende blind geboren. Mit ihrer Taufe durch Bischof Erhard von Regensburg im Alter von zwölf Jahren konnte sie plötzlich sehen, weshalb sie noch heute bei Augenleiden angerufen wird“, dozierte Christopher.
Herbert lächelte.
„Du hast ein erstaunliches Gedächtnis. Sie wurde um 660 geboren und starb 720 im Kloster Niedermünster am Fuße des Odilienberges. Gibt es in ihrem Leben einen Anhaltspunkt für eine innige Verbindung nach Hirsau?“
Herbert stellte die Frage ebenso an sich wie an Christopher und rieb sich die Nasenwurzel wie üblich, wenn er konzentriert nachdachte.
„Eberhard von Dagsburg war Enkel von Etichon und damit Neffe der heiligen Odilie. Hugo von Egisheim heiratete eine Heilwig von Dagsburg, eine Nachfahrin Eberhards und zeugte mit ihr…“, weiter kam Christopher mit seiner Darstellung nicht. Jetzt hatte es auch Herbert begriffen.
„Sie zeugten Bruno!“, rief Herbert begeistert, „natürlich. Ich Idiot. Der Papst und Odilie waren verwandt, und das ist die Verbindung zu den Calwer Grafen und nach Hirsau. Vielleicht gab es ein Geheimnis, das diese Familien seit dem Tod Odilies hütete“.
„Aber welches?“, hakte Christopher nach.
„Die Päpste waren zeitlebens auf der Jagd nach Reliquien. Vielleicht hat er auf dem Odilienberg herumgestöbert und zufällig was entdeckt. Rom versuchte alles an sich zu reißen, das die Pilgerströme anziehen konnte. Dahinter steckte weniger Frömmigkeit als wirtschaftliches Kalkül. Pilgerströme brachten enormen Wohlstand für die heiligen Stätten und die komplette Infrastruktur im Umfeld. Es war eine Tourismusindustrie, die ihre Blüte im späten Mittelalter hatte, und Städten wie Köln zu atemberaubendem Reichtum verhalfen. Du weißt ja, dass der größte und kostbarste Goldschrein dieser Zeit für die Reliquien der Heiligen Drei Könige gefertigt wurde, die Reinald von Dassel 1164 von Mailand nach Köln überführte“.
Nun rieb sich Christopher die Nase als Zeichen konzentrierten Nachdenkens.
„Und Du meinst, Leo hat eine Reliquie auf dem Odilienberg gefunden, um sie dann zu verstecken? Wozu? Mit der offiziellen Grablegung im Elsass hätte er den Wohlstand seiner Familie mehren können. Warum also Geheimniskrämerei?“
„Vielleicht war es eine Reliquie, in der er ebenfalls eine große Gefahr sah. Vielleicht erschien es ihm wichtig, sie in der Nähe des Kreuzes zu haben, und doch nicht zu nah“, sinnierte Herbert.
„Das Kreuz entfaltete seine Macht beim Kontakt mit dem Körper Jesu, der an diesem Kreuz starb, um wieder ins Leben zurückzukehren. Wusste Leo wie man eine Christusreliquie mit dem Stamm zusammenbringen konnte, um seine Schwarze Magie zu aktivieren? Ist damit der Schlüssel vom Berg der Heiligen gemeint?“
„Wäre möglich. Welche Christusreliquien hatten es Leo im Laufe seines Lebens besonders angetan?“.
Christopher und Herbert schauten sich mit großen Augen an.
„Die Blutreliquie“, entfuhr es ihnen beinahe gleichzeitig.
„Natürlich“, platzte Christopher heraus, „sie wurde geteilt und verschwand für Jahrhunderte. Ein Teil wurde wiedergefunden, ein anderer blieb verschollen“.
„Allerdings muss man berücksichtigen, dass hier etwas aus den apokryphen Schriften den Eingang in die christliche Tradition fand. Die Blutreliquie geht auf den römischen Hauptmann Longinus zurück, der seine Lanze in die Seite Jesu stieß und in keinem der vier anerkannten Evangelien erwähnt wird“, gab Herbert zu bedenken.
„Wenn ich mich recht erinnere, findet man seine Geschichte in den Actae Pilati oder dem sogenannten Nikodemusevangelium“, ergänzte Christopher.
„Stimmt“, Herbert nickte, „Longinus floh demnach im Jahr 37 nach Mantua, wo er Bischof wurde, nachdem ihn das Erlebnis der
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