Arche Noah | Roman aus Ägypten
bleiben. Der schönste Fleck auf Erden. Die Heimat, die selbst im Koran Erwähnung gefunden hat. Herzensgute Menschen, Anstand, Lebensgeist, der, voll entfaltet, bis zum Himmel reicht. Ihr Leben lang hat sie inbrünstig die Hymne gesungen: »In deinen Armen, o schönes Land, in deinen Armen! Die Trennung von dir hält keiner lange aus. Wer fortgeht, kehrt schnell wieder zurückin deine Arme.« Triumphe und Niederlagen hatte Achmads Mutter erlebt. Sie hatte an zahllosen Demonstrationen teilgenommen. Dass ihr Sohn sich in seinem ganzen Leben an keiner einzigen beteiligt hatte, konnte sie nicht nachvollziehen. Allerdings fragte sie sich, ob es seit seiner Geburt im Januar 1982 überhaupt je eine wirkliche Demonstration gegeben hatte. Darauf wusste sie keine Antwort. Fausîja hatte 1972 ihr Examen in Psychologie abgelegt. Angefangen hatte sie das Studium kurz nach der Niederlage 1967, als Universität und Studenten in einem permanenten Zustand des Aufruhrs regelrecht brodelten. An die Demonstrationen von 1972 erinnerte sie sich so deutlich, als hätten sie erst gestern stattgefunden. Nach Krieg hatte sie gerufen, ja geschrien, bis die Stimmbänder versagten. Danach hatte sie auf Anordnung des Arztes eine ganze Woche geschwiegen. Was war seither geschehen? In seiner gewohnt angenehmen Art erklärte ihr Achmad, dass er, seit er auf der Welt ist, vom Staat immer nur die eine Botschaft gehört habe: Ägypten sei ein ohnmächtiges Land. Es bestehe nur dank amerikanischer Zuwendungen. Die Amerikaner seien es, die das Land mit Getreide und Geld versorgten. Sie hielten alle Schlüssel in der Hand. »Wir aber haben nichts. Nur geschlossene Türen vor der Nase. Als Kind liebte ich vor allem das Märchen von dem Haus, in dem nur eine einzige Tür verschlossen ist. Alle anderen Räume kann man ungehindert betreten. Dass aber sämtliche Türen geschlossen sind, ist unerträglich. So kann man nicht existieren. Hier im Land gibt es kein politisches, kein wirtschaftliches, kein soziales Leben. Was wir um uns herum sehen, ist nichts als eine Kulisse. Eine Kulisse, in der sich die bösen Geistertummeln. Erinnerst du dich noch an den Film Die Truman Show, den wir zusammen auf dem saudi-arabischen Kanal gesehen haben? Jim Carrey spielt darin einen Mann, der ein ganz normales Leben zu führen glaubt. Allmählich aber kommt er und mit ihm der Zuschauer dahinter, dass sein ganzes Leben nur Lug und Trug ist. Alles um ihn herum ist eine Kulisse, die kommerziellen Zwecken dient. Sogar das Meer und die riesigen Wellen sind nicht echt. Genau solch ein Leben führen auch wir. Und die Amerikaner schauen uns dabei amüsiert zu.«
M utter,
Elisa liebt mich, und ich bin Feuer und Flamme für sie. Ich werde nächste Woche an ihrem Geburtstag, dem 5. März, mit ihr besprechen, wie sie mir aus dem Land helfen kann.
A chmad klammerte sich an eine vage Hoffnung. Naiv und gutgläubig, wie er war, ignorierte er auch dieses Mal jeden guten Rat. Er hatte sich in Elisa verliebt. Sie war so alt wie er, wunderschön und noch nicht von Verletzungen gebrandmarkt. Er wiederhole sein altes Muster, warnten ihn sämtliche Freunde. Wie einst der Staatsanwaltschaft jage er wieder einer Illusion nach. Bei Elisa sei keines der aufgestellten Kriterien erfüllt. Er müsse sich prostituieren, um aus dem Land zu kommen. Achmad aber wollte auf niemanden hören. Doch die Zeit gab seinen Freunden recht. Der Faden der Hoffnung, den Elisa mit ihren Versprechen gesponnen hatte, war sehr fein und riss unvermittelt. Als sie merkte, dass er sich allzu sehr an sie klammerte, wurdeihr die Sache zu brenzlig, und sie griff zu neuen Mitteln, um ihn loszuwerden: Sie tauchte unter. Eine ganze Woche liess sie nichts von sich hören. Mit den Nerven am Ende, versuchte Achmad, sie anzurufen. Aber auch ihr Telefon war ausgeschaltet. Am achten Tag war sie wieder online. Sein Herz hüpfte vor Freude. Aber nicht sie schrieb von der anderen Seite des Atlantiks, sondern ihre Mutter. Sie sprach Achmad ihr Beileid aus, Elisa sei vor einer Woche, als sie mit Freunden ihren Geburtstag feierte, bei einem Autounfall ums Leben gekommen.
Hâgar Mustafa
I ch wurde am 22. November 1981 in Talâ geboren, und am 1. Januar 2005 um Punkt zwölf starb ich im Ormanpark. Gegenwärtig bin ich tot.
H âgar kam zehn Minuten zu früh im Ormanpark an, die Wangen gerötet, ihr Gesicht strahlend vor Glück, im Sinn eine drängende Frage: Ob ihm das Mitbringsel wohl gefällt? Lange hatte sie überlegt, was sie ihm zum
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