Arche Noah | Roman aus Ägypten
rückwärtsgehen, vollziehen sie den Abschied. Sie stammeln einige Wörter, bewegen kurz die Hand. Plötzlich flieht er dahin, flieht ohne Blick zurück. Dann schwindet er hinaus, wird vom Leben verschluckt.
Das Leben teilt nie Geschenke aus! Sie steht da wie erstarrt: ein blutendes Herz, ein geöffneter Mund. Sie kennt jetzt ihren Tod. Ohne Wort, ohne Schrei. Sie kennt jetzt ihren Tod.
Sie fällt, ihre Hand berührt den Boden, tausend Jahre ist sie alt. Sie steht im Finstren am helllichten Mittag. Sie dreht sich um sich selbst, weiss, sie wird sich immer drehen. Denn heute hat sie nicht ihren Liebsten, sondern die Liebe verloren. Sie ist wieder wehrlos, so käuflich wie ein Los. Ich sehe sie von hier, doch ich kann nichts für sie tun. Ich lasse sie ziehen, dass sie von der Menschenmenge verschlungen wird. 5
A chmad hatte nicht die leiseste Ahnung, wie er vom Park in sein Bett gekommen war. Er versuchte, sich zu erinnern, an einen Moment, ein Bild, eine Szene, doch in ihm herrschte völlige Finsternis. Er wusste nicht, ob er zu Fuss gegangen war, ein Taxi genommen hatte oder sich von den Flügeln des wütenden Riesenvogels Roch hatte tragen lassen. Unvermittelt hatte er sich im Bett wiedergefunden. Den Kopf unter das Kissen vergraben, wollte er nicht mehr atmen. Als ein dünner Lichtstrahl in seine rechte Pupille einzudringen versuchte, kniff er das Auge umso fester zu. Er wollte nichts als Dunkelheit spüren, wünschte sich, sie möge ihn von nun an bis ins Grab begleiten. Irgendwann aber musste er wohl oder übel etwas Luft in die Lunge lassen. Nach langem Widerstreben hob Achmad den Kopf aus der Versenkung und öffnete die Augen. Er tat einen tiefen Atemzug, sog den Sauerstoff von ganz Kairo ein. Sein Blick wanderte durch das Zimmer. Überall dicke, schwere Rechtshandbücher, an allen Seiten zu Türmen gestapelt, so dass die Wände unter dem Gewicht zusammenzubrechen drohten.
Er stand auf, öffnete die Schranktür, an deren Innenseite ein länglicher Spiegel angebracht war, und betrachtete sein rechtes Auge. Blutunterlaufen, meldete es starke Schmerzen ans Gehirn. Er scherte sich nicht darum.
Er ging an den alten Rekorder, der wie immer auf seinem geliebten Schreibtisch thronte, legte eine Kassette von Umm Kulthûm ein und lief im Zimmer auf und ab wie ein Löwe in einem trostlosen Zookäfig.
Ich vergesse dich … nichts als Worte!
Ich vergesse dich … leere Worte!
Sein Blick fiel in den geöffneten Schrank auf das blaue Hemd, das ihm Hâgar vor zwei Monaten geschenkt hatte. Er sah es mit grossen Augen an. Eilig schloss er die Schranktür, warf sich aufs Bett, atmete tief ein, hielt die Luft an und vergrub den Kopf wieder unter das Kissen.
B ei meinem Entschluss war ich davon ausgegangen, dass ich stark, hart und unerschütterlich wäre. Doch dann stellte sich heraus, dass ich ein Weichei bin und die Liebe zu Hâgar mein Hirn in Mitleidenschaft gezogen hatte. Trotzdem, ich war überzeugt, dass es für uns beide das Beste wäre, denn so würde ich ungehindert auswandern und sie ihrer Wege gehen können. Meine Mutter traute ihren Ohren nicht, als ich es ihr erzählte. Sie war ausser sich. Ich würde von Grund auf alles falsch machen, sagte sie, ich hätte sie zutiefst enttäuscht. Nichts auf der Welt rechtfertige, was ich dem armen Mädchen angetan hätte, das mich von Herzen liebe. Wäre mein Vater noch am Leben, dann hätte er schon gewusst, wie er mich dazu bringe, sie zu heiraten. Im Übrigen, sagte sie zum Schluss, hätte ich es nicht verdient, etwas von meiner Geburtstagstorte abzubekommen. Ich sei ein undankbarer, grausamer Sohn.
Wenige Tage danach rief mich Hâgar an und schlug vor, dass wir alles vergessen sollten, was vorgefallen war, so als sei es nie passiert. Aber ich blieb bei meinem Entschluss.
Jedenfalls hatte ich seither kein schlechtes Gewissen mehr, wenn ich mich mit Elisa im Internet traf. Das war für mich das Wichtigste überhaupt. Ich beschloss, mir so schnell wie möglich irgendeinen Job zu beschaffen und zu arbeiten, bis sich das Blatt wendet und ich mit Elisas Hilfe dieses Land verlasse.
D er Plan, den Achmad, Jâssir, Salâch, Peter und weitere Kommilitonen ausgeheckt hatten, setzte tägliche Anwesenheit im Cybercafé voraus. Als Erstes nahmen sie per MSN Messenger, Yahoo! Messenger, Skype oder AOL Instant Messenger aufs Geratewohl Kontakt zu irgendeiner Frau auf, die online war. Die beste Zeit hierfür war zwischen zwanzig Uhr und Mitternacht Westeuropäischer
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