Arche Noah | Roman aus Ägypten
beziehungsweise US-amerikanischer Zeit. Die Zielgruppe: reife Frauen zwischen fünfunddreissig und fünfundvierzig, Frauen also, die etwa fünfzehn Jahre älter waren als sie selbst. Was das eigene Alter anging, so gaben sie meist vor, um die dreissig zu sein. Die Frauen sollten vorzugsweise durchschnittlich hübsch bis unansehnlich sein und aus der Mittel- oder Unterschicht stammen. Wesentliche Voraussetzung war, dass sie eine längere, ungefähr ein Jahr zuvor gescheiterte Beziehung gehabt hatten, aus der idealerweise mindestens ein Kind hervorgegangen war, denn das verringerte die Chancen der Frau, einen neuen Mann in ihrem Umfeld kennenzulernen. Im besten Fall wäre sie mittlerweile an dem Punkt angelangt, wo sie jede Hoffnung auf einen festen Sexualpartner aufgegeben hat. All diese Kriterien in einer Kandidatin vereint zu finden schien zunächst schwieriger, als es war. Die Scheidungsrate in Europa liegt bei vierzig bis fünfzig Prozent, und aufgrund schwieriger sozialer Umstände führen viele geschiedene Frauen ein überaus einsames Leben.
Die Vorgehensweisen der jungen Männer, um zu ihrem Ziel zu gelangen, waren recht unterschiedlich. Die einen suchten eine Frau, heiss wie Marilyn Monroe. Sie setzten auf Gefühl, beklagten die mangelnde Leidenschaft in ihrem trostlosen Land und offenbarten ihren Traum von derwahren Liebe zu einer vollendeten Europäerin. Das in etwa war die Masche, mit der sie sich auf dem internationalen Heiratsmarkt versuchten, wobei jeder noch nach eigenem Geschmack variierte. Andere Männer dagegen bevorzugten eine Frau, kalt wie Eis. Sie machten von vornherein klar, dass es ihnen nur um die Möglichkeit gehe, ihre Heimat zu verlassen. Dass sie eine Ehe auf Zeit anstrebten, nur so lange, bis sie die Staatsbürgerschaft erhalten hätten. Damit beide Parteien davon profitierten, boten sie eine Gegenleistung an, die, je nach Wunsch, finanzieller, sexueller oder zwischenmenschlicher Natur sein konnte.
M ein Problem ist, dass ich nicht weiss, wie ich die Moralvorstellungen und Prinzipien, die ich durch meine Erziehung verinnerlicht habe, mit der realen Welt in Einklang bringen soll. Ich gebe mir Mühe, aber es klappt nicht. Inzwischen bin ich so weit, dass ich ohne Skrupel bestechen, lügen und sonst was tun könnte. Aber es gelingt mir nicht. Es ist nicht bloss eine Sache des Wollens, man muss auch zur Niedertracht und Korruption fähig sein. Ekelhaft! Mein Gewissen regiert mich, dagegen komme ich nicht an. Gestern sass einer im Cybercafé neben mir. Er chattete mit einer Frau und fragte mich alle naselang, wie dies und jenes auf Englisch heisst. Alles Mögliche hat er der Frau erzählt. Dass er sie liebe, sie geradezu vergöttere und nicht mehr weiterwisse. Dass er bereit sei, einen Vertrag abzuschliessen, in dem er sich verpflichte, zwei Jahre lang täglich zweimal mit ihr zu schlafen, sie ihn dafür aber heiraten und ihm die deutsche Staatsangehörigkeit verschaffen müsse. Er hat mich, gelinde gesagt, angewidert. Das war zu viel, in meinen Augen ist das Prostitution. Ich dagegen habe Elisa meine Situation klipp und klar geschildert. Nur von Hâgar habe ich nichts gesagt.Aber abgesehen davon habe ich alles offengelegt. Sie weiss, dass ich mein Land verlassen will, weil es hier keine Arbeit gibt, und dafür hat sie vollstes Verständnis. Die Menschen im Westen, sagte sie, seien der Grund für unsere Rückständigkeit. Sie fühle sich mitverantwortlich für unsere Situation und habe deshalb Schuldgefühle. Der Kolonialismus sei gar nichts gegen das, was die Amerikaner uns heute antäten. Sie konnte es kaum fassen, dass ich als Rechtsanwalt in einer derart ausweglosen Lage stecke. Elisa lebt in New York, bildet Models in einer Modeagentur aus und verdient 900 Dollar in der Woche. Sie ist eine Künstlerin, hat Feingefühl und ist sehr gebildet. Und was noch viel wichtiger ist, sie hat Sinn für Humor.
A ls Achmad einen Witz erzählte, den Elisa ihm geschrieben hatte, verzog die Mutter keine Miene. Nichts, was mit den Reiseplänen ihres Sohnes zusammenhing, fand sie komisch. Ganz im Gegenteil, ihr war zum Weinen zumute. Lang und breit setzte er ihr auseinander, warum er auf keinen Fall würde bleiben können. In diesem trostlosen Land gebe es für ihn nichts zu tun. Ihr aber lag es – trotz aller finanziellen Not, die sie litt, und trotz der erfolglosen Versuche ihres Sohnes, Arbeit zu finden – völlig fern, an Auswanderung zu denken. Für sie würde Kairo bis zum Jüngsten Tag Kairo
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