Arche Noah | Roman aus Ägypten
Aiman. Ja, sicher erinnere ich mich. Auch Ihnen ein gutes neues Jahr. Sie leben jetzt im Ausland, wie ich gehört habe?«
»Ja, ich bin vor etwa zehn Jahren nach Amerika gegangen.«
»Menschenskind, wie die Zeit vergeht! Was machen Sie in Kairo? Sind Sie zu Besuch hier?«
»Ach, wissen Sie, das Junggesellendasein ist hart. Ich bin gekommen, um eine Frau zu suchen und so meine religiöse Pflicht zu erfüllen.«
Doktor Mustafa betrachtete Aiman. Zum ersten Mal sah er ihn genau an. Prüfend. Aiman war mittelgross, hatte einen quadratischen Kopf, platziert auf einem Boxerhals. Er hatte grüne Augen, ein verwaschenes Grün ohne Persönlichkeit, darüber buschige blonde Brauen. Sein Blick wirkte unterwürfig und irgendwie stumpfsinnig. Ein Glückstreffer, fand Doktor Mustafa, genau der richtige Mann für seine Tochter. Bei dem Gedanken jubelte sein Herz. Dennoch gab er sich beherrscht. »Und … haben Sie denn schon die Staatsbürgerschaft, Aiman, oder noch nicht?«
»Ja, die habe ich, Herr Doktor.«
»Grossartig. Sie müssen mich unbedingt besuchen, ich habe da ein paar Fragen. Man hört ja so allerhand über Amerika, und ich wüsste von Ihnen gern, was davon wahr ist und was nicht. Oder haben Sie keine Zeit für Ihren alten Professor?«
»Aber nicht doch, für Sie immer!«
Doktor Mustafa zückte Stift und Zettel, schrieb seine Adresse auf und liess seinen ehemaligen Studenten erst gehen, als sie einen Termin vereinbart hatten. Dienstag, den 4. Januar, um neunzehn Uhr.
A iman war 1996 mit einem ordentlichen Touristenvisum in die Vereinigten Staaten eingereist. Erhalten hatte er es dank eines originellen Schauspiels, ersonnen und umgesetzt von ihm persönlich. Zu dem Termin mit dem amerikanischen Konsul hatte er eine jüdische Kippa aufgesetzt, um kulturelle Offenheit und Toleranz zu bekunden. Obwohl die Kopfbedeckung während des Treffens mit keinem Wort erwähnt worden war, gab er sich überzeugt, dass sie ihm geholfen hatte.
Er kam nach New Jersey mit 80 000 ägyptischen Pfund, den gesamten Ersparnissen aus seiner Arbeit als fliegender Kamerahändler, der er während des Studiums nachgegangen war.
Die Geschichte seiner Emigration begann, als er im Sommer nach dem Schulabschluss in einer Reiseagentur als Begleiter für touristische Kleingruppen jobbte. Bei dieser Gelegenheit lernte er einen englischen Juden namens George kennen, der im Londoner Viertel Soho ein Geschäft für gebrauchte und neue Fotoausrüstungen betrieb. Mit geübtem Händlerblick studierte George auf abendlichen Rundgängen, begleitet von Aiman, Qualität und Preise solcher Geräte in Kairo und witterte einen neuen Markt für seine Ware. Aiman zeigte Interesse, sich in dieses Gebiet einzuarbeiten und als Vertreter in Ägypten zu fungieren.Damit nahm sein Leben eine völlig neue Wendung. Obwohl er noch nie eine Kamera in der Hand gehalten hatte, schrieb er sich an der Fakultät für angewandte Kunst für den Studiengang Fotografie ein. Sein Argument: »Dort finde ich bestimmt jede Menge Kunden. Studium und Business in einem. Ich bilde mich, und gleichzeitig verdiene ich Geld.«
Aiman erklärte George lang und breit, dass er Fotografie studieren werde und dass es am Institut einen grossen Bedarf an Kameras gebe. Daraufhin lud ihn George auf einen Besuch nach London ein, um ihm die verschiedenen Marken und Preiskategorien vorzustellen und ihn in die Geschäftswelt einzuweisen. Sie teilten sich die Flugkosten, und George gewährte Aiman Logis. So kam er in diese Branche. Sein ganzes Studium hindurch verkaufte er eifrig Kameraausrüstungen für Profis und Amateure. Da er die Apparate, um sie durch den ägyptischen Zoll zu schleusen, auseinanderschraubte, gab er sie seiner Kundschaft gegenüber als Neuware aus. Irgendwann aber brauchte Aiman sie nicht mehr in ihre Einzelteile zu zerlegen, weil er sich durch Bestechung ein Netz von gefälligen Zollbeamten aufgebaut hatte. Ausserdem führte er pro Einreise jeweils nur eine einzige Kamera ein. Davon, dass er gebrauchte Ware als neu verkaufte, verriet er George nichts, schliesslich wollte er grösstmögliche Gewinne einstreichen. In den vier Jahren an der Universität erzielte er hervorragende Zensuren, denn er erwies dem gesamten Lehrpersonal grosse Dienste. Darüber hinaus sparte er eine beträchtliche Summe an, sein Startkapital für die Vereinigten Staaten.
N achdem Doktor Mustafa gegangen war, blieb Aiman noch eine Weile nachdenklich am Achmad-Schauki-Denkmal stehen.
Dass er mich so
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