Arche Noah | Roman aus Ägypten
dringend treffen möchte, hat ja wohl seinen Grund. Auf eine Kamera ist er sicher nicht scharf. Nein, wahrscheinlich will er mir eine Braut andrehen. Mal sehen, ob es sich um seine Tochter, irgendeine Verwandte oder seine Enkelin handelt. Achtzehn potentielle Bräute habe ich mir in den letzten vier Tagen angesehen, und nicht eine Einzige hat mir gefallen. Entweder waren sie mir zu bäuerlich oder zu hässlich. Eine wirkte zurückgeblieben. Und die Letzte war richtig schlimm, eine miesepetrige Luxustante. Sagt die doch tatsächlich: Für mich hat meine Arbeit oberste Priorität. Bei der ging es ständig nur um »ich, ich, ich«. Und obendrein trägt sie eine Brille, die so dick ist, dass man meinen könnte, sie hat sich Wassergläser über die Augen gestülpt. Ich hätte gern eine Braut, die hübsch ist, Kopftuch trägt, eine passable Figur hat und an einer vernünftigen Universität studiert hat. Na ja, fünf Tage habe ich noch. Morgen klappere ich weitere vier Familien ab. Ausserdem habe ich Gott auf meiner Seite.
A iman hatte seiner Mutter über einen Freund, der zu Besuch nach Kairo kam, einen Brief zukommen lassen. Sie solle sich doch bitte nach einer Braut für ihn umsehen, schrieb er. Der Zug sei abgefahren und er müsse ihn schnellstmöglich einholen. Eine Frau mit den von ihm gewünschten Eigenschaften sei am anderen Ende der Welt nicht zu finden. Er träume davon, Vater zu werden, und habe Angst, sich von diesem Traum verabschieden zu müssen. Am Schluss teilte er seiner Mutter die genauen Daten seines zehntägigen Besuchs mit.
Bei seiner Ankunft auf dem Flughafen überreichte ihm die Mutter eine mit blauem Füller auf gelbem Papier geschriebene Liste. »Das, mein Sohn«, erklärte sie, »sind die Termine mit den Bewerberinnen.«
Nicht im Traum wäre Aiman eingefallen, dass seine Mutter ein solches Mammutprogramm mit über dreissig Familien organisieren würde und die Sache förmlich in eine Versteigerung ausartete. Alles mit der Zauberformel: »Mein Sohn Aiman ist Amerikaner. Er lebt in New York. Er wird sie mitnehmen und dafür sorgen, dass sie die Staatsbürgerschaft bekommt.«
Die Zauberformel hatte sämtliche Türen geöffnet und mehr Wirkung erzielt, als ein »Sesam, öffne dich« je hätte haben können. Abgesehen davon war die Höhle ohnehin leer geräumt. Die Juwelen waren fort und die vierzig Räuber über alle Berge.
I ch brauchte Sauerstoff, Luft zum Atmen. Meine Lunge war ganz zerknautscht. Wie ein kleiner Tetrapak. Wenn man den Orangensaft ausgetrunken hat und die Packung mit aller Kraft zusammendrückt, dann bleibt sie doch zerknautscht, nicht wahr? Ja, und genauso fühlte sich meine Lunge an. Tot konnte ich nicht leben.
Ich überlegte, Achmad anzurufen und ihm zu sagen, dass ich einverstanden sei. Er solle ruhig diese Elisa, Condoleezza – oder wie sie heisst – heiraten, abwarten, bis er die Staatsbürgerschaft hat, sich scheiden lassen, und dann könnten wir heiraten. Ich würde problemlos ein paar Jahre auf ihn warten, denn ich hätte es überhaupt nicht eilig. Würde er meinen Vorschlag ablehnen, dann hätte ich wenigstens seine Stimme gehört und eine gehörige PortionSauerstoff in die Lunge bekommen. Selbst wenn seine Mutter den Hörer abheben würde, bekäme ich noch etwas Sauerstoff.
»Hallo.«
»Hâgar, guten Tag, meine Liebe.«
Hâgars Tränen kullerten lautlos, kaum dass Sauerstoff in ihre Lunge drang. Was die Lunge mit den Augen zu tun hat, fragte sie sich. Sie wusste es nicht.
»Ich halte das nicht aus, Tante.«
»Ich verstehe gar nichts mehr.«
»Ich … ich … ich …«, setzte sie an und wurde von einem Weinkrampf geschüttelt. Sie versuchte zu sprechen, es gelang ihr nicht. Sie versuchte es erneut, bekam aber nur Geröchel heraus.
»Nimm es nicht so schwer, Hâgar.«
Hâgars Stimme versagte. Sie legte auf.
A m Montag, dem 3. Januar, um fünfzehn Uhr, ging Doktor Mustafa breit grinsend auf seine Frau zu und drückte ihr mit lautem Schmatz einen Kuss auf, während er dem detaillierten Bericht über die lang erwartete Trennung lauschte. Dass die göttliche Gunst so weit ging, hätte er sich nie träumen lassen. Der Termin mit dem amerikanischen Bräutigam war auf den folgenden Tag angesetzt. Und heute kam die Meldung, dass es zwischen Hâgar und Achmad aus und vorbei war.
»Komm, Suâd, erzähl es mir noch einmal!«
»Du bist ein Sadist. Deiner Tochter geht es dreckig, und du feixt dir eins.«
»Ich will doch nur das Beste für meine Tochter, du
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