Arche Noah | Roman aus Ägypten
und liess den Blick über die vielen Modelle in der Auslage schweifen.
Ich schloss vor Glück die Augen und ergriff Mutters Hand, die mir liebevoll über den Kopf strich. Bücher über Bücher waren im Schaufenster ausgestellt. Ein dickes blaues zog mich in den Bann. Auf dem Umschlag waren lauter Fragezeichen abgebildet, in allen Grössen und Farben. Mutter kaufte mir das Buch, das mich fortan begleitete und nun stolz im Regal meiner Tochter steht.
»Versprich mir, dass du es liest. Bücher sterben nämlich vor Kummer, wenn man sie liegenlässt, aber sie leben ewig, wenn sie gelesen werden.«
Ich versprach ihr, das Buch und überhaupt alle Bücher zu lesen, die wir zu Hause hatten. Ich sehe die Verkäuferin noch vor mir, eine Frau um die vierzig mit lachenden Mandelaugen und einer Brille, die so breit war, dass sie rechts und links über das Gesicht hinausragte. Sie trug ein blaugrau gestreiftes Kleid, das an eine Schuluniform erinnerte. Zum Abschied schenkte sie mir ein Heft. »Für deine Tagebucheintragungen«, sagte sie.
Ich muss nachher unbedingt das Tagebuch suchen, nahm ich mir vor. Einer der rosa Seiten hatte ich meineerste Liebesgeschichte anvertraut. Damals war ich in der dritten Klasse. Magîd, so hiess mein Angebeteter, war nun fort, ebenso wie die Buchhandlung, geschlossen in den siebziger Jahren. Stattdessen waren Schuhe eingezogen, wohl moderner und zeitgemässer als Bücher. Als Mutter das entdeckte, kamen ihr die Tränen. Niedergeschlagen war sie an jenem Tag nach Hause gekommen. Eine ganze Weile noch schleppte sie statt Büchern, die sie gern heimgebracht hatte, Enttäuschung und Schwermut mit sich herum.
Eine Woche nach Ihâbs Abreise quälte ich mich wieder aus dem Bett. Unter dem Wasserstrahl im Bad machte ich mir zum ersten Mal ernsthaft Gedanken über meine Zukunft. In schöne Träume entrückt, hatte ich sie bisher völlig ausgeblendet. Das Gesicht nach oben, die Augen geschlossen, spürte ich, wie die Tropfen auf meine Lider trommelten, und beschloss, Buchhändlerin zu werden. Ich liebte den Geruch nach Staub, der den Buchseiten anhaftet.
Kurz darauf aber fand ich mich in einer sozialen Einrichtung zur Förderung von Frauen wieder. Und wenige Wochen später rief ich begeistert: »Heureka! Genau das ist es, was ich in meinem Leben tun will.« Das Zentrum betreute diverse Projekte. Das eine, an dem ich mitwirkte, war darauf ausgerichtet, Frauen zu Identitätspapieren zu verhelfen. Ohne Personalausweis waren ihnen selbst die elementarsten Rechte verwehrt, zum Beispiel das nicht unwesentliche, die Scheidung von einem Ehemann zu erwirken, der seit Jahr und Tag verschwunden, ausgewandert oder sonst wie abhandengekommen war. Ein anderes Projekt unterstützte Frauen mit Kleinkrediten, damit sie ein Unternehmen gründen und ihren Unterhalt verdienen konnten. UnsereAktivitäten erstreckten sich ausschliesslich auf bestimmte städtische Siedlungsgebiete. Ich war im Kairoer Manschîjat-Nasser-Viertel tätig. Es war ein mühsames Unterfangen, und oft mussten wir bei null anfangen, denn viele Frauen besassen nicht einmal eine Geburtsurkunde. Ich begegnete Geschiedenen, Prostituierten und Strassenkindern und lernte dadurch auch viel über mich selbst.
K urz vor der Gawad-Husni-Strasse blieb ich vor einem Basbûsageschäft stehen. Als ich die Bleche mit der Süssspeise betrachtete, meldete sich der Appetit, und meine Kehle schrie nach einem Löffel Basbûsa. »Und vergiss die Sahne nicht«, fügte sie leise hinzu. Im Laden eilten mir meine Augen voraus und verschlangen im Vorbeigehen so allerlei: Sainabs Finger 61 , Schâm-Datteln 62 , Kunâfa 63 mit Creme und Aisch al-Sarâja 64 mit Nüssen. Innerlich jauchzte ich vor Wonne. Ich bestellte Basbûsa ohne Sahne und beschloss, alles, was ich nicht zwischen die Zähne bekommen könnte, mit den Wimpern zu zerkauen. Der Verkäufer, um die sechzig und mit imposanter Glatze, hatte ein Gesicht, das mich so freundlich anlächelte wie seine Kunâfa und dreieckig wie der Sinai war, das Kinn so spitz wie Ras Muhammad, der südlichste Punkt der Halbinsel.
Auf der Hochzeit einer Kommilitonin, Farach hiess sie, lernte ich den Mann kennen, den ich kurz darauf heiratete. Er kam aus der Geschäfts- und Finanzwelt und arbeitete inder Faisal Islamic Bank. Ein stiller Typ, zurückhaltend und wortkarg. Wie ein Fischer warf er sein Netz aus, und ich konnte nicht entkommen. Wir waren zwei Parallelen, die sich, allen geometrischen Gesetzen und jeder Logik zum Trotz,
Weitere Kostenlose Bücher