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Arche Noah | Roman aus Ägypten

Arche Noah | Roman aus Ägypten

Titel: Arche Noah | Roman aus Ägypten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chalid al-Chamissi
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auserwählten Polin und eines strammen Alexandriners, der mir auf dem Sterbebett versicherte, dassdie Armen eines Tages – wenn nicht in diesem, so im kommenden Jahrhundert – die Herrschaft übernehmen würden, die Gerechtigkeit sich durchsetzen würde und wir am Ende siegen würden. Vor allem aber bin ich die Tochter Kairos, der Stadt der tausend Gesichter und der tausend Minarette. Einer Stadt mit Pausbacken, die zum Küssen einladen.
    Mir ergeht es wie vielen hier. Umm Kulthûm hat mich mit ihrer Stimme in den Bann gezogen. Ich studierte Deutsch an der Sprachfakultät der Ain-Schams-Universität, als mein Herz flatterte und für eine Weile nicht mehr gleichmässig pochte. Bei einer Theateraufführung an der Universität lernte ich ihn kennen, Ihâb Jusri. Hoch aufgeschossen, geradezu abstossend gross war er. Ich dagegen hatte nicht das Glück, von meinem Vater die Körpergrösse geerbt zu haben. Ihâb war dünn, Brust und Rücken klebten buchstäblich zusammen. Seine Nase war so riesig, dass sie die von Kamâl Achmad Abdalgawâd 56 in den Schatten stellte. Er kam aus einer Künstlerfamilie und steckte gerade in der Endphase seiner Masterarbeit.
    Was mich auf Anhieb anzog, war seine Stimme. Sie war tief und schien mehreren, harmonisch zusammenklingenden Kehlen zu entsteigen. Als ich sie zum ersten Mal hörte, schmeichelte sie mir so angenehm in den Ohren wie die von Muhammad Abdalmuttalib 57 . Gemeinsam erkundeten Ihâb und ich Kairos Kultur. Mit jedem Erlebnis wurden wir unzertrennlicher. Theater? Warum nicht? Man muss sich mit der Theaterwelt auseinandersetzen! Kunstausstellungen? Sie waren die Leidenschaft meines Liebsten, derwie sein Vater zum Künstler geboren war. Kinofilme? Ein Jammer, was aus dem Filminstitut geworden ist. Wo sind die wunderbaren Genies geblieben? Konzerte? Zusammen bildeten wir ein ganzes Orchester. Ich, Pianistin und Violinistin, führte ihn ans Tamburin heran. Wir vereinten Sajjid Darwîschs 58 Operette Die nette Zehn mit Charles Gounods Oper Faust und Eugène Ionescos Theaterstück Die Stühle  – alles vor den Gemälden von Sandro Botticelli. Wir machten aus ihnen eine rein ägyptische Welt mit dem Aroma von gebratenem Knoblauch. Er schenkte mir Apollo und ich ihm Euterpe, meine Muse.
    In den Wolken schwebend, besahen wir uns die Welt von oben und konnten vor lauter Schmutz nichts erkennen. Also beschlossen wir, hinabzusteigen und uns in Kairo für den Umweltschutz einzusetzen. Wir nahmen an allen Demonstrationen teil, riefen Parolen für Ägypten und schwenkten die Fahne. »Weg mit der Diktatur!«, riefen wir im Chor und forderten Reformen. Die Tagammu-Partei 59 war gleich nebenan, die Nasseristen waren zu radikal, und die Wafd-Partei 60 gefiel uns nicht. Unermüdlich suchten wir unseren Platz auf einem fahrenden Wagen, aber sie hatten alle Probleme mit der Mechanik.
    Ihâb stand kurz vor seinem Abschluss, er musste bald seine Masterarbeit verteidigen. Doch seine Liebe zu mir treibe ihn zum Zeichnen an, sagte er. Zahllose Bilder malte er, auf Papiertaschentücher, in Notizblöcke, auf meine Hand, meinen Fuss. Mit Vorliebe Motormuttern, auf nackteKörper gedreht. Er könne sich nicht von diesem wahnsinnigen Salvador Dalí befreien, sagte er. Er habe versucht, ihn mit einem Pinsel zu töten, den er in blutrote Farbe getaucht hatte, aber es sei ihm nicht geglückt.
    Mit klopfendem Herzen sass ich in dem Saal, in dem Ihâb seine Arbeit gegen drei erbarmungslos argumentierende Professoren verteidigte. Doktor Murtada al-Barûdi, sein Betreuer, schaute in seiner ehrfurchtgebietenden schwarzen Robe streng drein und brachte mit seiner Stimme den Saal zum Beben. Am Ende ging alles gut aus, mein Liebster erhielt den Mastertitel. Ich war damals im dritten Studienjahr, in dem ich mich für das Klavierspiel begeisterte und Ihâb in die Wissenschaft des Doktor Murtada eintauchen liess.
    I ch überquerte die Sabri-Abu-Alam-Strasse und bog in die Kasr-al-Nil-Strasse ein. Vor Lappas hielt ich inne. Würde man all die Eiskugeln aufeinandertürmen, die Vater und ich hier verspeist hatten, so wäre der Haufen höher als der Mukattam-Berg. Wenige Monate nach meiner Geburt hatte er die Arbeit am Staudamm aufgegeben und beschlossen, sich in Kairo niederzulassen und endgültig aus Alexandria wegzuziehen.
    Er fand Anstellung bei der Firma Egypt Tractors and Engineering, deren riesiges halbrundes Gebäude in Bab al-Lûk zwischen der Bustân- und der Tachrîrstrasse steht. Vater arbeitete von acht bis

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