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Arche Noah | Roman aus Ägypten

Arche Noah | Roman aus Ägypten

Titel: Arche Noah | Roman aus Ägypten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chalid al-Chamissi
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trafen.
    Es war die rasanteste Eheschliessung des zwanzigsten Jahrhunderts. Zwei Monate nach unserer ersten Begegnung sassen wir bereits im gemeinsamen Nest. Er war etwa zehn Jahre älter als ich und hatte mich mit dem Heiratsantrag buchstäblich überfallen. Ich werde nie vergessen, wie er bereits beim ersten Rendezvous von Verlobung sprach. Es mangele ihm an nichts, erklärte er stolz, für eine Wohnung sei bereits gesorgt, und sie sei auch vollständig eingerichtet. Sogar die Fischteller stünden schon im dafür vorgesehenen Fach bereit.
    Ich wollte vor der Hochzeit wenigstens einmal von ihm geküsst werden, um seinen Geruch kennenzulernen und Vertrauen zu fassen. Er aber hatte nur Organisatorisches im Sinn. Ich mache ihm das nicht zum Vorwurf, immerhin war er stets er selbst, was ich nach all den Jahren als einen überaus wichtigen Wesenszug erachte. Ich dagegen blieb im Zusammensein mit ihm nie ich selbst – ein Fehler, den ich mir nicht verzeihe. Ich gab mir grösste Mühe, die Welt mit seinen Augen zu betrachten, aber nicht die geringste, ihm meine Perspektive zu erläutern. Im Laufe unserer Ehe besuchten wir kein einziges Mal das Theater, ja bekamen nicht einmal das Opernhaus von aussen zu Gesicht. Ich hätte die Abende gern zu Hause verbracht, mich mit ihm besinnlicher Stille hingegeben und die gemeinsame Zeit geatmet. Doch er wollte nur eines: sich unter die Menschen mischen, die in kalten Nächten anonyme Restaurants bevölkern. Wirhielten nicht einen Moment inne, Hast bestimmte unser Leben. Die Welt um uns herum bebte, ihn aber interessierten nur die Schwankungen der Wechselkurse. Einmal schlug ich vor, eine Kunstausstellung zu besuchen, und wurde in einen Nachtklub ausgeführt. Ich sehnte mich nach gemeinsamen Anschauungen, hatte den Wunsch, dass er meine Träume in Bezug auf die Zukunft des Landes teilt. Meine Worte verloren sich aber im Nichts, bevor sie seine Ohren erreichten. Ich führte das Leben, das er vorgab. Dabei verlor mein Kompass die Orientierung, und schliesslich wusste ich nicht einmal mehr, was ich wollte.
    Als ich ihn auf Farachs Hochzeit kennenlernte, war ich in meiner Hochphase. Von Erfolgserlebnissen wie berauscht, schwebte ich geradezu durchs Leben, denn das, was wir in der Einrichtung gemeinsam für Hunderte Frauen in Manschîjat Nasser erreichten, gab mir das Gefühl, glorreiche patriotische Arbeit zu leisten. Zufrieden lächelnd legte ich abends den Kopf auf das Kissen und sagte mir: Jeder Tausend-Meilen-Gang beginnt mit einem Schritt.
    Täglich lernte ich dazu. Die Frauen hatten alle ihr Päckchen zu tragen, Schmerz, Leid, Krankheit, fehlende Bildung. Trotzdem verfügten sie über einen sprühenden Geist, ja geradezu göttliche Weisheit, über Kraft, Mut, einen unzerstörbaren Lebenswillen und die Fähigkeit zu lächeln. Eine wirkliche Schule, die mich mit einem Schatz ausstattete, von dem ich bis zum Jüngsten Tag zehren kann.
    So erkläre ich mir heute, warum ich mich so blauäugig auf meinen Mann einliess. Eine unzulängliche Erklärung freilich in Anbetracht dessen, dass ich mich in eine mir völlig fremde Welt begab, mich damals sogar glücklichschätzte dazuzugehören. Als verlobtes Paar gingen wir allabendlich aus, ohne auch nur einen Tag Pause einzulegen. Ich bildete mir ein, dass er das Bedürfnis hätte, unsere Verbindung zu feiern. Doch dann stellte ich fest, dass er nicht anders konnte, als jeden Abend auszugehen. Seine Freunde sah ich häufiger als mich selbst. Talaat Dhihni, damals sein engster Freund und zugleich Kollege, war immer dabei. Hind, seine Frau, die ich sehr mochte, sah ich demzufolge auch jeden Abend. Sein ehemaliger Kommilitone Nabîl Scharubîm gehörte ebenfalls dazu, kam hin und wieder aber ohne Begleitung, denn seine Frau Nivîn hatte eine Praxis und somit sieben Tage die Woche zu tun.
    I ch erreichte den Mustafa-Kâmil 65 -Platz. Erhaben schaute mich der Herr von seinem Sockel an, worauf ich unwillkürlich sagte: »Würde ich nicht in Kairo leben, dann würde ich gern in Kairo leben.« Erfreut über diesen wunderbaren Satz, gab er seinen berühmten Ausspruch zum Besten: »Eine Nation, die sich nicht von dem ernährt, was sie eigenhändig anbaut, und nicht die Kleider trägt, die sie selbst herstellt, ist zur Abhängigkeit verdammt und letztlich dem Untergang geweiht.« Ich betrachtete ihn. Im eleganten Mantel, Name und Geschichte von Herrlichkeit umwoben, stand er da. Unvorstellbar, dachte ich, dass dieser Mann, als er starb, keine

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