Arche Noah | Roman aus Ägypten
Mal aber hatte ich es allzu sehr übertrieben. Unverzüglich, noch bevor ich irgendetwas anderes in der Wohnung anrührte, wandte ich mich ihm zu. Sämtliche Stellen an ihm, die ich in- und auswendig kannte, reinigte ich, bis er wieder eine jugendliche Frische ausstrahlte. Es war, als wurden die Zeiger zurückgestellt. Der Bösendorfer sprach zu mir, erzählte mir von Sehnsucht und Traurigkeit.
1828 starb der Komponist Franz Schubert in Wien. Bei seiner würdigen Beerdigung war Ignaz Bösendorfer zugegen. Das Herz schwer und mit dem Gefühl tiefer Einsamkeit, verliess er den Friedhof. Um seine Trauer zu überwinden, beschloss er, für die Musik, die er leidenschaftlich liebte, etwas zu tun. Bereits am nächsten Tag beantragte erdie Genehmigungen, um den Klavierbau betreiben zu dürfen. Er begann da, wo sein Lehrmeister Joseph Brodmann aufgehört hatte.
Franz Liszt, ein musikalisches Wunder am Klavier, war auf der Suche nach einem geeigneten Instrument für seine neuen Spieltechniken eines Tages auf einen Bösendorfer-Flügel gestossen. Dieser habe, so heisst es, die österreichische Kälte nicht vertragen. Nachdem er lange überlegt hatte, wie er ihr entgehen könne, habe er schliesslich ein Schiff nach Alexandria bestiegen und sei dort von einer grossen Familie mit mindestens zehn Kindern aufgenommen worden. Doch die Bälger hätten in einer Tour rücksichtslos auf die feinen Tasten aus Elfenbein eingedroschen, so dass der Flügel auf der Stelle wieder fortwollte. Da sei Helena aufgetaucht und ihm auf den ersten Blick verfallen. So kam das majestätische Instrument zu uns.
Seit der Flügel mir Audienzen gewährt, will er jeden Tag von mir berührt werden. Selbst an Tagen, an denen ich mehrere Klavierstunden gebe, besteht er darauf, dass ich mich zu ihm setze und mit ihm spreche. Gleich nach seinem Einzug in unser bescheidenes Zuhause führte mich Helena oder Halîma, wie die Nachbarn meine Mutter nannten, an ihn heran. Ihre strengen Anweisungen hallen mir heute noch im Ohr nach. Mutter war ein Engel, ging es aber um Hatschepsut und die Musik, also um Hathors Töchter, dann kannte sie keinen Spass. Auf dem Flügel hatte sie Bastet platziert, die Göttin der Musik und des Tanzes. Ob sie, die mich immerzu ansah, tatsächlich Bastet oder vielleicht doch eher Bast hiess, wusste ich nie, denn Mutter nannte sie Bast, wenn sie mit meinem Klavierspiel zufrieden war, undBastet, wenn sie unzufrieden war. Was es mit den beiden Namen auf sich hat, habe ich Mutter nie gefragt. Ich sagte mir immer, dass ich sie eines Tages noch darauf ansprechen werde, doch sie starb, bevor dieser Tag kam. Während ich an der Seite meiner Mutter unbeholfen die ersten Griffe übte, sass Vater meist hinter uns in seinem gemütlichen niedrigen Sessel mit hoher Lehne und lauschte aufmerksam.
I ch wollte, dass das Studium ewig währt, doch ein Lidschlag, und es war vorbei. Die Jahre waren wie im Flug vergangen. In der rechten Hand hielt ich mein Diplom und in der linken Ihâbs rührenden Abschiedsbrief. Mit ihm hatte ich einen Tagtraum gelebt, von dem ich geglaubt hatte, er würde bis zum nächsten Jahrhundert dauern. Doch dann kam die Trennung. Es war, als würde mir die Seele aus dem Leib gerissen. Wir trafen uns, standen da, zwischen uns eine unsichtbare Wand, die nicht einmal seine kräftige Stimme niederzureissen vermochte. Ein Promotionsstipendium der McGill-Universität in der Tasche, hatte er einen Flug nach Kanada gebucht. Bevor Ihâb ging, reckte er den Kopf vor, so dass seine grosse Nase die Wand durchstach. In einer neuen, mir unbekannten Stimmlage sagte er, er komme nicht zurück.
I ch schlenderte weiter auf der Kasr-al-Nil-Strasse und passierte die Bursastrasse, die wie alle zur Scharîfstrasse hinter der Nationalbank führenden Nebenstrassen in eine Fussgängerzone umgewandelt worden war. Wie üblich hatten sich dort schnell jede Menge Cafés angesiedelt. Überall standen Stühle, so dass man als Fussgänger nicht mehr ungehindert hindurchkam und förmlich zum Verweilen und Geldausgebengezwungen wurde. Ein Kellner bot mir aufdringlich einen Platz an, indem er mir Zeichen machte und einen Stuhl vom Boden anhob. Er war kaum zwanzig Jahre alt, dünn wie ein Nagel und schien an Blutarmut zu leiden. Ich beachtete ihn anfangs nicht, doch dann ging ich hin, gab ihm ein Pfund mit der Aufforderung, sich einen Orangensaft zu kaufen, und setzte meinen Weg fort. Beim Schuhgeschäft an der Ecke Kasr-al-Nil-Strasse/Scharîfstrasse hielt ich inne
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