Arche Noah | Roman aus Ägypten
der Diener des Herrn, also ich, Abdallatîf, an die Reihe. Ich machte mich über die Reste her, ich spachtelte und spachtelte, bis ich alles verputzt hatte. Der reinste Luxus war das. Selbst die Lehrer beneideten mich und wollten, dass ich ihnen etwas mitbringe von den Kreationen meiner Mutter, möge Gott ihr Gesundheit und Glück schenken.
A bdallatîfs Onkel heirateten und bekamen Kinder. Auch die Mutter heiratete erneut, nachdem sein Vater für vermisst erklärt worden war, und gebar weitere Kinder. Schwere Zeiten brachen an. Die Zahl der Kunden ging zurück, gleichzeitig nahmen Konkurrenzdruck und Rangeleien zu. Wer konnte, zog fort. In ernsthafte Schwierigkeiten aber kam die in Sinnûris im Gouvernement Fajjûm lebende Familie erst 1998, als sich in ganz Ägypten wirtschaftliche Probleme bemerkbar machten. In deren Folge schloss sich Abdallatîfs Onkel Hassanain einer islamistischen Gruppierung an, die, so ihr erklärtes Ziel, Doktor Jûssuf Wali aus dem Distrikt Ibschâwi in Fajjûm töten wollte, weil er der Kollaboration mit Israel bezichtigt wurde. Obendrein soll er durch die Genehmigung krebserregender Düngemittel vorsätzlich die Gesundheit des ägyptischen Volkes gefährdet haben.
Unmittelbar über dem Karûnsee tat sich im Himmel eine Klappe zur Hölle auf, der niemand entrinnen konnte. Hassanain, der das Inselprojekt am aktivsten betrieben hatte, verschwand plötzlich. Im Laufe der Tage, Monate und Jahre nahm die wirtschaftliche Not stetig zu, so dass sich jeder sein Brot mit Gewalt und ohne Rücksicht auf Verluste beschaffen musste. Die Welt steuerte auf daseinundzwanzigste Jahrhundert zu, das glückliche Zeitalter von George W. Bush, gewählt am 18. Dezember 2000, sechsundvierzig Tage nachdem Atif Abaid und Achmad Nasîf im Beisein von zig Universitätsabsolventen das Cybercafé in Gisa eröffnet hatten. Und sechsundvierzig Tage nachdem Abdallatîf sich über die mexikanische Grenze auf amerikanisches Staatsgebiet geschmuggelt hatte.
Abdallatîf, der am 29. Februar 1982 geboren wurde und keine Ahnung hatte, dass sein Geburtstag nur einmal in vier Jahren kam, weil er ihn sowieso nie feierte, hatte sich, nachdem die wunderbaren Errungenschaften der Obrigkeit wie eine Katastrophe über ihn hereingebrochen waren, geschworen, dass er das neue Jahrhundert nicht in dem trostlosen Kaff Sinnûris erleben wollte, zumal sich das Glück von Fajjûm und der gesamten Region endgültig abgewandt hatte. So nahm er im Alter von fünfzehn Jahren bereits die ersten Kontakte zu Schleusern auf. Anfangs plante er, in den Irak zu gehen und die Suche nach Arbeit mit der Suche nach seinem Vater zu verbinden. Abdallatîf war fest davon überzeugt, dass sein Vater noch am Leben war und dass er ihn früher oder später treffen würde.
Tîfa hatte immer hart gearbeitet. Seit dem fünften Lebensjahr hatte er der Mutter beim Kochen und, sobald die Gäste gegangen waren, seinen Onkeln beim Abräumen, Spülen und Putzen geholfen.
Nachdem das Inselprojekt ein jähes Ende genommen hatte, verdingte sich Abdallatîf als Mechaniker- und später als Elektrikergehilfe. Er hatte eine besondere Angewohnheit: Nach Feierabend hockte er sich, ganz gleich wie anstrengend der Arbeitstag gewesen war, vor das Haus undbaute alle Geräte, die ihm in die Finger kamen, auseinander und wieder zusammen, Stecker, Verteilerdosen, alte Telefone, kaputte Transistoren. Das war sein einziges Hobby neben einem anderen: den Schleusern in Fajjûm nachzujagen.
» I ch bin Abdallatîf, der Sänger, den Tom Cruise beauftragt hat, das wunderbare Fest, das uns heute hier zusammenführt – die Hochzeit des Herrn Aiman Subhi und der entzückendsten aller Damen, Signora Hâgar –, ordentlich in Schwung zu bringen. Eigentlich sollte Britney Spears heute Abend singen. Leider ist sie aber verhindert, weil aufgrund eines leichten Schnupfens ihre Nase verstopft ist. Nichts für ungut. Deshalb hat sie Herrn Cruise angerufen und ihn gebeten, den Auftritt zu übernehmen. Der aber hat furchtbar nervös an seinen Jackettknöpfen herumgenestelt, als er zu mir kam, und sich mit fadenscheinigen Argumenten herausgeredet. Und so haben Sie, meine Damen und Herren, heute Abend das grosse Glück, Tîfa erleben zu dürfen. Ich beginne mit einem Lied, das noch nie vorgetragen wurde. Ich singe es heute zu Ehren von Signora Hâgar und hoffe, dass es ihr gefällt.«
Musik ertönte, Abdallatîfs Stimme erklang und brachte den Saal zum Beben.
Die Gäste wiegten sich hin und her und
Weitere Kostenlose Bücher