Arche Noah | Roman aus Ägypten
klatschten im Takt. Aiman sprang auf und fing wild zu tanzen an. Er versuchte, Hâgar auf das Parkett zu ziehen, doch sie lehnte ab. Also tanzte er allein weiter. Die Gäste scharten sich um ihn. Ein Mann wuchtete ihn hoch auf die Schultern. Aiman tanzte oben unbeirrt weiter, bis sein Kopf mit Wucht gegen den Kronleuchter prallte. Der Bräutigam fiel zuBoden. Es gab ein tumultartiges Durcheinander, und das Fest wurde abgebrochen. Tîfa seinerseits freute sich insgeheim und richtete seinen Blick auf die Blumen. Des einen Leid ist des anderen Freud.
T îfa ist ein Geschenk Gottes. Ein Joker. Egal wo man ihn einsetzt, er macht einen hervorragenden Job. Seit er bei mir angefangen hat, boomt das Geschäft. Er ist ein grandioser Koch. Sein Essen ist unübertroffen köstlich. Als ich das Restaurant übernahm, habe ich es Aladin genannt. Der Name zieht bei Arabern und Amerikanern, dachte ich. Das war im August 2001. Wenige Tage später, am 11. September, wurden die beiden Türme in Schutt und Asche gelegt. Ich war am Boden zerstört. Das Geschäft wird nicht laufen, sagte ich mir, verkauf das Restaurant lieber. Ausserdem ist ein arabischer Name im Moment nicht gerade vorteilhaft. Nachher wird einem noch vorgeworfen, dass man terroristische Gerichte mit Dynamitsauce serviert. Aber ich hatte gerade erst 300 000 Dollar für den Laden hingeblättert. Da steckten neben meinen gesamten Ersparnissen das Geld von zwei Partnern und ein Bankkredit drin. Eine ziemlich ernste Sache also. Die Monatsmiete beträgt 2500 Dollar. Mein Vorgänger hatte es auf 10 000 Dollar Umsatz in der Woche gebracht.
Und dann geschah Folgendes: Nachdem ich den Laden übernommen hatte, ging der Umsatz von 10 000 Dollar wöchentlich auf 6000 Dollar im Quartal zurück. Das Lokal abzustossen hätte grosse Verluste bedeutet. Aber dank Tîfa und den anderen Mitarbeitern komme ich inzwischen auf 22 000 Dollar in der Woche. Aus einer simplen Pizzeria haben sie ein nobles Restaurant gemacht, das alle möglichen extravaganten Schlemmereien anbietet. Tîfa vollbringt an Enten wahre Wunder. Seine Kreationen sind, wie er sich rühmt, besser als die französische Küche.
I m Aladin arbeiteten neun Personen: Abdallatîf und Hussain in der Küche, Magdî und Scharbîni am Pizzaofen, Maya bediente das Telefon, George und Nassîm waren für die Bedienung zuständig, Mûssa und Ishâk lieferten die Bestellungen aus. Alle waren Ägypter, bis auf Maya, die aus Mexiko stammte, und Mûssa aus dem Sudan. Er war der Älteste. Mit dem Abspaltungsbeschluss vom 19. Dezember 1955 9 hatte er sich aber nicht abgefunden. Er hielt ihn für eine amerikanische Verschwörung, umgesetzt von zwei Unionisten namens Gamâl Abdel Nasser und Ismaîl al-Ashari 10 . Mûssa verstand sich als Sudan-Ägypter und betrachtete somit Maya als einzige ausländische Mitarbeiterin im Aladin. Maya aber bestritt, Ausländerin zu sein. Sie begriff sich als Nachfahrin der Pharaonen, der Errichter der mexikanischen Pyramiden.
Das Lokal liegt in einer Einkaufsstrasse in Paterson im Bundesstaat New Jersey. Wer durch das Viertel geht, fühlt sich wie in einem arabischen Land. Überall arabische Ladenschilder. Ein Metzger, der seine Ware als »Halâl-Fleisch« ausweist. Geschäfte, die orientalische Lebensmittel anbieten. Sogar von den weggeworfenen Zeitungen auf der Erde schauen einen arabische Buchstaben an. Tîfa traute seinen Augen nicht, als ihn das Schicksal hierher verschlug. Er glaubte, ein Schiff habe ihn entführt und mitten in der Alten Welt, unserem fernen Land, wieder ausgespuckt. Auch Hâgar konnte wochenlang nicht fassen, dass das tatsächlichdie Vereinigten Staaten sein sollten. In der Wohnung schaute Aiman immerzu ägyptische Fernsehsender und hörte ägyptische Musik. Selbst das Lebensmittelgeschäft, in dem sie einkaufte, gehörte einem Ägypter.
Abdallatîf teilte sich ein Appartement, bestehend aus einem Schlafzimmer und einem kleinen Wohnzimmer, mit Hussain, Magdî und Scharbîni. Die Wohnung war nur ungefähr zwei Kilometer beziehungsweise fünfundzwanzig Minuten Fussweg vom Aladin entfernt. Die vier Männer deckten hinsichtlich ihrer Herkunft die ägyptische Landkarte von Nord nach Süd ab. Hussain stammte aus Buhaira im äussersten Norden, Magdî aus Sues im Osten, Abdallatîf, wie bereits bekannt, aus Fajjûm im Landesinneren, und Scharbîni kam aus Kinâ im äussersten Süden und war wie die meisten Leute aus seiner Region ehrlich und direkt, womit er oft den Unmut der
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