Arche Noah | Roman aus Ägypten
»Abflüsse sind nicht mein Fachgebiet. Aber Gott wird es schon richten. In der Not vertraue ich immer auf Gott.«
A bdallatîf verliess Aimans Wohnung mit einem unguten Gefühl. Der Verrat lag, wie er fand, regelrecht in der Luft. »Hâgar wird Aiman hinterrücks erstechen«, sagte er zu Scharbîni. »Sie wird alles zerstören und am Ende die Hälfte seines gesamten Besitzes abstauben. Es kann durchaus sein, dass wir das Aladin völlig umsonst hochgebracht haben. Wir müssen ihn unbedingt warnen.«
Sämtliche Aladin-Mitarbeiter hatten ihre Erfahrungen mit der sogenannten Businessehe. Jeder hatte eine Amerikanerin geheiratet, um eine Aufenthaltsgenehmigung und die Greencard zu bekommen. Diese Angelegenheiten regelte Peter Anastasi für sie, ein Amerikaner in den Dreissigern mit italienischem Hintergrund, spezialisiert auf alles, was mit Immigration und Einbürgerung zu tun hat. Er war mit allen Wassern gewaschen. Dank dem italienischen Blut in seinen Adern liess er sich nicht so leicht von tückischen Beamten hinters Licht führen. Er hatte Abdallatîfs Eheschliessung von Anfang bis Ende begleitet. Die Kosten beliefen sich auf 11 000 Dollar. Davon hatte die Ehefrau 8000 undPeter 3000 Dollar bekommen. Nachdem die Ehe geschlossen war, hatte Peter den Nachweis erbracht, dass die beiden Eheleute an ein und derselben Adresse wohnhaft sind. Nur auf dem Papier natürlich. Darüber hinaus hatte er in der Ausländerbehörde gewisse Kontakte und war daher im Bilde, ob diese eine Überprüfung der ehelichen Verhältnisse seiner Klienten plante. Falls ein Kontrollbesuch anstand, was seit dem 11. September verstärkt vorkam, warnte Peter das betreffende Ehepaar vor, damit beide Partner zum fraglichen Zeitpunkt in der gemeinsamen Wohnung zugegen waren.
Allen widerstrebte eine Ehe, die auf Lüge und Vortäuschung von Gefühlen beruhte. Insofern war die Businessehe die bessere Lösung. Klare Verhältnisse sind das Prinzip der Prostitution, eines der ehrenhaftesten Gewerbe im einundzwanzigsten Jahrhundert.
H ätte mir jemand Stein und Bein geschworen, dass die Reise hierher so beschwerlich sein würde, ich hätte es nicht geglaubt. Na ja, es ist wie bei der Geburt, sage ich mir. Die Frau schreit sich nur so lange die Seele aus dem Leib, bis das Kind draussen ist. Die Reise war für mich im Grunde auch eine Art Neugeburt. Folglich gehörte es einfach dazu, dass ich mir unterwegs die Seele aus dem Leib schrie. So ist das Leben halt.
Die Reise dauerte über zwei Monate. Ich brach am Sonntag, dem 27. August 2000, um vier Uhr früh auf und kam am Donnerstag, dem 2. November, morgens um acht Uhr in Texas an. In den zwei Monaten und sechs Tagen habe ich Dinge erlebt, die sich keiner vorstellen kann. Ich wurde regelrecht bis auf die Knochen gegrillt.
A bdallatîf bestieg die Arche Noah, weil ihm alle Wege, seinen Lebensunterhalt in Fajjûm zu bestreiten, versperrt waren. Also tat er genau das, was alle Männer in seinem Umfeld taten. Die, die älter waren als er, hatten den Schritt bereits hinter, die Jüngeren noch vor sich. Er ging fort aus Sinnûris. Unter Jubeltrillern, Glückwünschen und Küssen der Mutter, der Onkel, Cousins und Freunde brach er auf. Er hoffte, seinen Onkel Hassanain, der ihm sehr nahegestanden hatte, wiederzutreffen. Wo dieser sich allerdings aufhielt, das wusste keiner.
Begleitet von Abdalnabi, nahm er zunächst den Mikrobus von Fajjûm nach Kairo. Er solle, hatte ihn Abdalnabi angewiesen, so wenig Gepäck wie möglich mitnehmen: Unterwäsche, ein Hemd zum Wechseln und Sandwiches für mindestens vier Tage, mehr nicht. Es sei eine lange Reise und er müsse sich ungehindert und schnell bewegen können. Abdalnabi erläuterte ihm Schritt für Schritt alle Einzelheiten und Stationen der Route und liess ihn die Handynummer eines gewissen Pedro so oft aufsagen, bis er sie auswendig konnte. Besagten Pedro solle er anrufen, sobald er auf dem Flughafen von Quito in Ecuador gelandet sei. Zum Schluss riet er ihm, die Sandwiches nicht ohne Sinn und Verstand auf einen Schlag aufzuessen, sondern sich die Mahlzeiten gut einzuteilen: alle paar Stunden nur ein Sandwich. Andernfalls müsse er sich Verpflegung zu astronomischen Preisen auf den Flughäfen kaufen.
Die beiden stiegen am Rimâjaplatz in Gisa aus. Zum ersten Mal im quirligen Kairo, war Abdallatîf völlig fasziniert von dem Gedränge auf den Strassen und von den gewaltigen Fünfsternehotels, die den Platz säumten. DasForte Grand Hotel rechts, das Sofitel
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