Arche Noah | Roman aus Ägypten
einverstanden.So fuhr ich nach Kairo und ging direkt zum Heiligtum. Dort suchte ich als Erstes eine Apotheke und bat Chalîfa, draussen zu warten.
»Herr Doktor …«
»Ja, bitte.«
»Ähm …«
»Sprechen Sie etwas lauter, ich verstehe nichts.«
»Mein, mein, mein Mann … Bitte verzeihen Sie.«
»Was ist mit Ihrem Mann?«
»Verzeihen Sie, aber …«
»Sie können offen sprechen. Was ist mit ihm?«
»Da ist ein Problem. Wenn er mit mir zusammen ist … Er …«
»Hat er vielleicht Erektionsstörungen?«
»Ja, mein Herr.«
»Hat er Herzbeschwerden? Wurde er schon mal operiert?«
»Nein, noch nie, sein Herz ist in Ordnung.«
»Wie viel wollen Sie ausgeben?«
»Ich habe dreissig Pfund.«
»Nehmen Sie diese drei Schachteln. Das Mittel heisst Virecta. Er soll eine Stunde vor dem Geschlechtsverkehr eine halbe Tablette einnehmen. Und dann kommt hoffentlich alles wieder ins Lot.«
E in Lied wurde angestimmt. »Lasst die Gläser klingen! Seht, wie schön sie ist!« Jasmin heiratete ihren Herzallerliebsten dank einer Investition von nur dreissig Pfund. Kaum aber waren die Schachteln aufgebraucht, suchte Jassîn wieder nach einer Möglichkeit, ausser Landes zu kommen. Die Situation hatte sich nicht geändert, ja sie hatte sich sogar rapide verschlechtert. Das Lehrergehalt, bisher bestenfalls einschlechter Scherz, empfand er nunmehr als demütigenden Auswurf. Abu Salâma hatte sich, wie nicht anders zu erwarten war, aus dem Staub gemacht, keiner hatte mehr etwas von ihm gehört. Tagsüber verfolgte ihn der Anblick von Scheich Sâlich und Schâkirs Brüdern Hussain und Ibrahîm, die ihn ständig nach Abu Salâma fragten, weil sie sich an ihm rächen wollten. Abends war es ihm ein Gräuel, an der Videothek vorbeizugehen und Saksûka dort nicht mehr zu sehen. Darüber hinaus plagten Jassîn existentielle Fragen: Was war der Ausweg? Es konnte so nicht weitergehen, wenn er seine Kinder vor einer Zukunft ohne Hoffnung bewahren wollte. Dieser Gedanke quälte ihn, wenn er seine Schüler sah, die noch kaum lesen konnten. Als er eines Tages auf dem Schulhof unter der Maulbeerfeige sass, kam ihm die Idee, Doktor Nivîn Adli aufzusuchen und ihr eine Niere zum Kauf anzubieten.
Nivîn Adli
A m Samstag, dem 18. Februar 2006, war es so weit: Jassîn hatte einen Termin bei Frau Doktor Nivîn Adli. Noch wusste er nicht so recht, wie er das Thema ansprechen sollte, denn bislang hatte Abu Salâma alles geregelt. Wer eine Niere spenden wollte, brauchte sich nur an ihn zu wenden, und kurz darauf waren die Formalitäten erledigt. Allerdings war zum Spenden nur einer aus dem Dorf zugelassen worden: Wahdân. Da Abu Salâma nun jedoch fort war, musste Jassîn allein zurechtkommen. Er hatte Doktor Nivîns Adresse recherchiert, dort angerufen und einen Termin für die folgende Woche bekommen – am Samstag um einundzwanzig Uhr.
Jassîn schickte ein Stossgebet zum Himmel und stieg nachmittags um vier in den Mikrobus. Dreieinviertel Stunden später in Kairo angekommen, machte er sich zu Fuss auf in die Innenstadt. Die Praxis in der Scharîfstrasse war brechend voll. Hilflos stand er herum, bis ihn schliesslich der Arzthelfer ansprach. Jassîn nannte ihm seinen Namen und bezahlte mit zitternder Hand hundert Pfund, die er sich vom Bürgermeister geliehen hatte. Dann setzte er sich in den Warteraum und schaute in die Runde. Die Menschen waren ganz grau im Gesicht, mit jeder Faser strahlten sie eine Schwermut aus, dass allmählich auch er ganz trübsinnig wurde. Die Luft war zum Schneiden, er rang nach Atem.
Nach einer Stunde wurde Jassîn unruhig. Auf der Suche nach etwas, womit er sich die Zeit vertreiben konnte, schaute er sich um und entdeckte al-Ahrâm auf dem Tischvor sich. Er zögerte eine Weile und griff schliesslich zu, schielte dabei aber zum Arzthelfer, wie um zu fragen, ob er das überhaupt durfte. Dieser hatte sich hinter seinem winzigen Schreibtisch verschanzt und schenkte ihm keinerlei Beachtung. Jassîn schlug die Sportseite auf. »Zamalek SC bietet 600 000 Dollar für Muhammad Fadl. Ismaily SC fordert stattdessen 600 000 Euro.« Er fragte sich, ob ihn wohl jemand für nur 600 000 Millime nehmen würde. Nein, ausgeschlossen, ihn würde keiner kaufen. Eine eigenartige Meldung, dachte er. Was hatte es mit dem Geschäft auf sich, warum feilschten zwei ägyptische Vereine in Dollar und Euro um einen ägyptischen Spieler? Jassîn fand die Sache höchst seltsam, aber eines wurde ihm dadurch klar: Es wäre am
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