Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Arche Noah | Roman aus Ägypten

Arche Noah | Roman aus Ägypten

Titel: Arche Noah | Roman aus Ägypten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chalid al-Chamissi
Vom Netzwerk:
also in der grössten Mittagshitze des 15. Juli, stachen wir in See.
    Ein unglückseliger Tag, den ich mein Leben lang nicht vergessen werde. Nach ungefähr eineinhalb Stunden begann Wasser ins Boot zu dringen. Es stieg unaufhaltsam. Wir riefen den Kapitän. Er schrie uns zu, die Kanister loszumachen und das Wasser auszuschöpfen. Wir legten uns ins Zeug. Nach etwa einer Viertelstunde ging eine gewaltige Welle auf uns nieder und schlug den Kahn kaputt. Wir schrien den Kapitän wie von Sinnen an, er solle umkehren. Er riss das Ruder herum, und wir kenterten.
    Wer schwimmen konnte, sprang ins Meer und versuchte, sich nicht weiter als fünfzehn Meter vom Kahn entfernt über Wasser zu halten. Ich konnte nicht schwimmen, bekam aber einen Kanister zu fassen und merkte, wie ich immer mehr abgetrieben wurde. Mir war schwindlig, die Sonne brannte. Um mich drehte sich alles mit rasender Geschwindigkeit. Das Letzte, was ich hörte, war ein Flattern über meinem Kopf. Dann verlor ich das Bewusstsein.
    E in Vogelschwarm kreiste über Jassîn und verfolgte das Geschehen. Würden die Vögel sich später an diese Szene erinnern? Oder vertrieb jede neue Sekunde die vorhergehende für immer?
    Die Männer, vorwiegend Bauern, hatten das Meer noch nie mit eigenen Augen gesehen, sie kannten es nur von Fotos und aus Filmen und wussten nicht, dass es so erbarmungslos wie ihr fruchtloses Leben war. Sie waren vor dem Galgen geflüchtet und sassen nun auf dem elektrischen Stuhl. Jeder rang mit gnadenlosem Egoismus um sein Leben. Muhammad, der wie viele nicht schwimmen konnte,versuchte, sich an der Hand eines anderen festzuhalten, worauf dieser ihm mit aller Kraft auf den Kopf schlug, um ihn sich vom Leib zu halten. Die Männer lieferten sich eine erbitterte Schlacht um jeden Kanister. Und wären Waffen verfügbar gewesen, hätte sich keiner gescheut, den Erstbesten zu töten, der ihm im Wege war. Die einen schrien und winselten, andere fügten sich in ihr Schicksal und sanken in die Tiefe. Die Vögel können sich glücklich schätzen, Jahr für Jahr legen sie, lauernden Gefahren zum Trotz, Tausende Kilometer zurück, um am Leben zu bleiben. Dem Menschen aber hat Gott keine Flügel geschenkt, mit denen er, wenn sich die Welt um ihn verdüstert, auf und davon fliegen kann.
    Ein Vogel kam heran und berührte Jassîns Kopf mit den Füssen, um ihn vor dem Tod zu retten.
    N ach Gott weiss wie langer Zeit kam ich wieder zu mir und sah Wahdân. Sein Körper trieb vor mir auf dem Wasser. Ich weinte, um mich selbst, um ihn, um alle, die dem Tod zu entkommen suchten.
    Plötzlich hörte ich meinen Namen. Es war Saksûka, der noch auf dem Kahn sass. Schwimmen konnte er nur in Computerspielen, nicht im Wasser. Ich solle zu ihm hochklettern, sagte er, aber ich schaffte es nicht. Vergeblich hielt ich Ausschau nach Schâkir. Etwa zwanzig Minuten später war das Boot gesunken und Saksûka auf Nimmerwiedersehen fort. Ich schrie, betete zu Gott, rief nach meiner Mutter. Warum ich nicht auch nach meinem Vater rief, weiss ich nicht. Alle um mich herum klammerten sich an irgendeinen Gegenstand und beteten. Manch einer rief auch nach seiner Mutter und ging kurz darauf unter, ohne je wieder aufzutauchen.
    Die Strömung trieb mich von den anderen weg. Ich rief nach Taha, Akâscha und Muhammad, doch antwortete mir nur mein Echo. Meine Schuhe quetschten mir die Füsse ab und zogen mich hinunter. Ich versuchte, sie auszuziehen, was sehr schwierig war, denn auf keinen Fall wollte ich den Kanister loslassen. Als ich die Schuhe endlich los war, ging es mir viel besser, plötzlich fühlte ich mich so leicht. Ich zog auch das Hemd aus, ein teures Hemd, das ich für sechzig Pfund in der Safîja-Saghlûl-Strasse in Alexandria gekauft hatte. Sechs Stunden später brach die Dunkelheit herein. Ab und zu hörte ich noch einen Schrei durch die Nacht gellen.
    Irgendwann verliessen mich die Kräfte, ich war am Ende. Jeder einzelne Körperteil schrie regelrecht vor Schmerzen. Mein Mut war mit dem letzten Sonnenstrahl geschwunden. Vom Festland keine Spur. Die Hoffnung auf ein rettendes Boot war mit meinem ausgedörrten Hirn verflogen. Der Durst zerriss mir die Kehle, schnitt mir ins Gesicht. Eines war mir klar: Würde ich den Kanister zum Trinken anheben, könnte ich mich nicht an der Wasseroberfläche halten und würde ihn verlieren.
    Trotzdem wollte ich es versuchen. Ich beschloss, zu trinken und mich in Gottes Hand, gepriesen sei Er, zu begeben. Ich fragte mich, ob es Selbstmord

Weitere Kostenlose Bücher