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Arche Noah | Roman aus Ägypten

Arche Noah | Roman aus Ägypten

Titel: Arche Noah | Roman aus Ägypten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chalid al-Chamissi
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würde, um ihm die Überfahrt nach Europa zu finanzieren. Er wollte einen Handel mit mir abschliessen und einfach nicht begreifen, dass ich dafür die Falsche bin. Immer wieder hat er von seinem Freund erzählt, der genau auf diese Art eine Niere gespendet haben soll. Er habe eine Operation vornehmen lassen, dann habe der Schleuser von der Familie des Kranken das Geld für die Niere bekommen und die Überfahrt organisiert. Im Gehen sagte er noch, dieser Freund sei ertrunken, am 15. Juli vergangenen Jahres sei er umgekommen. Eine fürchterliche Geschichte.
    Am 15. Juli waren wir mit den Kindern nach Kanada geflogen. Ob es ein Freitag gewesen sei, erkundigte ich mich. Er bejahte. Endlos viele Fragen schossen mir durch den Kopf. Wie konnte das Boot kentern? Wer hat das zu verantworten? Warum? Wieso? Weshalb? Aber die Worte blieben mir im Hals stecken. Alles, was ich herausbekam, war die Frage nach dem Namen seines Freundes. Ich notierte ihn und beschloss, ihn am Sonntag am Altar niederzulegen. Herr Jesus Christus, ich bitte um Gnade für ihn und für uns alle.
    D oktor Nivîn hatte ihrer Familie versprochen, zeitig Feierabend zu machen, denn es war der letzte Tag vor der Grossen Fastenzeit. Sie wollten ins Restaurant Bâscha in Samâlik gehen und deftige Fleischgerichte essen, sich regelrecht einen Vorrat anlegen, mit dem sie die fünfundfünfzig mageren Tage überbrücken konnten. Zwar stopften die Kinder bereits seit einer Woche bergeweise Schokolade, Eiscreme undPizza in sich hinein, trotzdem war dies ein ganz besonderer Abend. Nabîl und die Kinder trafen zuerst ein und wählten einen Tisch auf der Dachterrasse mit Blick auf das Rundfunkgebäude und das Aussenministerium. Kaum hatten sie sich gesetzt, verkündete Nabîl lautstark: »Ich könnte auf der Stelle den Turm des Aussenministeriums samt Beton, Eisen und seiner ganzen Scheusslichkeit verschlingen. Und damit hätte ich sogar noch ein gutes Werk getan, dann könnte das Ministerium nämlich zurück in den Palast am Tachrîrplatz ziehen, diesen herrlichen Palast der Prinzessin Nimet Allah Hanum 29 , Gattin des Prinzen Kamâl al-Dîn Hussain, der wiederum Spross des Sultans Hussain Kâmil war.«
    Wie immer verspätete sich Nivîn. Weil die anderen ihre knurrenden Mägen aber möglichst schnell beruhigen wollten, riefen sie sie an, um sie zu fragen, was sie bestellen wolle. Nabîl hatte keine Ahnung, dass seine Frau wegen der Sache mit Wahdân schreckliche Qualen litt.
    Kaum betrat Nivîn die Terrasse, fing John Lahûd zu singen an. Es versetzte ihm einen Stich, zu sehen, wie sie ihren Mann auf den Mund küsste, er konnte sie, seine erste Liebe, einfach nicht vergessen. Ihr zu Ehren sang er Que je t’aime, jenes Lied von Johnny Hallyday aus dem Jahre 1969, nach dem Nivîn einst so verrückt gewesen war.
    Was das Fasten anging, war die Familie gespalten. Die Männer und Sylvia handhabten die Sache eher locker, sie fasteten ausschliesslich am ersten Tag und in der letzten Woche. Und selbst an diesen Tagen genehmigte sich Michael abends immer sein Glas Milch. Diesen Regelverstoss würdeihm der liebe Gott, davon war er fest überzeugt, gewiss nachsehen. Wie sein Vater ging Michael auch nur alle drei Monate zur Messe. Nivîn und Carol dagegen fasteten streng nach Vorschrift. Das Osterfest liebten alle fünf gleichermassen, ebenso den traditionellen Ausflug. Jedes Jahr besuchten sie in der Woche danach Priester Estephanos, den geistigen Vater der Familie, im Sankt-Antonius-Kloster. Er war ein alter Klassenkamerad von Nabîl, und trotz grundlegender Differenzen verband die beiden eine innige Freundschaft. »Tout passe, tout casse, sauf les copains de classe«, wie Nabîl immer sagte. Nichts ist beständig, nur Schulfreunde bleiben einem erhalten. Nivîn hatte dem Priester, soweit sie sich erinnern konnte, nie widersprochen, schliesslich war er ihr Beichtvater. Ausserdem schätzte sie seine Weisheit zutiefst. Doch beim Besuch im vergangenen Jahr war sie in einem Punkt anderer Meinung gewesen. Am Thema der Auswanderung nach Kanada hatte sich eine Diskussion entzündet, die ihr nachhaltig in Erinnerung geblieben war.
    »Ägypten bietet keine Perspektive, Vater. Ich möchte nicht, dass meine Kinder als Fremde im eigenen Land aufwachsen.«
    »Nivîn, reich mir doch bitte das Glas neben dir.«
    »Soll ich nachgiessen, Vater? Da ist kaum noch Wasser drin.«
    »Dieser Schluck wird den Durst fürs Erste schon löschen, meine Tochter. Wenn du meinst, dass das Glas immer

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