Archer Jeffrey
Manschettenknöpfe weniger als 100 Pfund
betrug, würde man ihn nicht zu einer Haftstrafe, sondern zu
einer Geldbuße verdonnern. Er wartete geduldig, bis der
Magistrat ihm die gleichen Fragen stellte, wie Kenny sie
mehrmals gehört hatte, als er vergangene Woche in den
Zuschauerreihen gesessen hatte.
»Haben Sie noch irgendetwas zu sagen, ehe ich den
Urteilsspruch fälle?«
»Ja, Sir«, sagte Kenny. »Ich habe vergangene Woche bei
Selfridges eine Uhr gestohlen. Ich habe deshalb ein schlechtes
Gewissen und möchte sie gern zurückgeben.« Er strahlte den
Richter an.
Der Magistrat nickte. Er las die Adresse auf dem Formular,
das vor ihm lag, und ordnete an, dass ein Polizist – hier nannte
man sie noch Constable – Mr. Merchant nach Hause begleite
und den gestohlenen Artikel an sich nehme. Einen Augenblick
sah es fast so aus, als würde er den verurteilten Täter
belobigen. Ebenso wie Mr. Parker, der Sicherheitsmann und
der Inquisitor wusste auch der Richter nicht, dass er nur ein
kleines Rädchen in einem großen Getriebe war.
Ein junger Constable fuhr Kenny nach Putney. Unterwegs
erzählte er, dass er seinen Job erst seit ein paar Wochen habe.
Na, dann kannst du dich auf etwas gefasst machen, dachte Kenny, als er die Haustür aufschloss und den Constable
hereinbat.
»O Gott!«, rief der junge Mann in dem Moment, als er das
Wohnzimmer betrat. Er drehte sich um, stürmte aus der
Wohnung und rief über das Funkgerät im Wagen sofort seinen
Reviervorsteher an. Schon wenige Minuten später parkten zwei
Streifenwagen vor Kennys Zuhause in der St Luke’s Road.
Chief Inspector Travis marschierte durch die offene Tür.
Kenny saß im Korridor und streckte ihm die gestohlene Uhr
entgegen.
»Zum Teufel mit der Uhr«, brummte der Chief Inspector.
»Was ist mit all diesem Zeug?« Er deutete mit einer weit
ausholenden Armbewegung ins Wohnzimmer.
»Das gehört alles mir«, antwortete Kenny. »Ich hab nur die
Uhr hier gestohlen, eine Timex Masterpiece im Wert von 44
Pfund. Ich hab sie bei Selfridges geklaut, gebe sie jetzt aber
zurück.«
»Was führen Sie im Schilde, Mann?«, fragte Travis barsch. »Ich habe keine Ahnung, was Sie meinen«, entgegnete
Kenny scheinbar verständnislos.
»Und ob Sie wissen, was ich meine«, brauste der Chief
Inspector auf. »Sie haben da teuren Schmuck, Gemälde,
Kunstgegenstände und antike Möbelstücke aufgehäuft« – im
Gesamtwert von ungefähr 300.000 Pfund, hätte Kenny ihm
gern anvertraut –, »und ich glaube nicht, dass irgendetwas
davon auf ehrliche Weise in Ihren Besitz gelangt ist.« »Dann werden Sie es beweisen müssen, Chief Inspector.
Falls Sie es nicht können, gehört es von Rechts wegen mir.
Und wenn das der Fall ist, kann ich es verkaufen, oder was
immer ich damit anfangen will.«
Der Chief Inspector informierte Kenny mit düsterer Miene
über seine Rechte und verhaftete ihn wegen Diebstahls. Wieder erschien Kenny vor Gericht, diesmal im Old Bailey,
dem Schwurgericht für schwere Straftaten, die in London und Umgebung begangen wurden. In Anbetracht des feierlichen Anlasses trug Kenny seinen Nadelstreifenanzug, ein weißes Hemd und die Guards-Krawatte. Diesmal saß er wegen Diebstahls einer Beute im Wert von etwa 24.000 Pfund auf der
Anklagebank.
Die Polizei hatte eine vollständige Inventur sämtlicher
zweifelhaften Objekte in Kennys Wohnung vorgenommen und
sechs Monate lang versucht, die Eigentümer dieser
Gegenstände aufzuspüren. Doch trotz Anzeigen in sämtlichen
Fachblättern, und obwohl die Gegenstände immer wieder in
der Fernsehsendung Crimewatch gezeigt und sogar für die
Öffentlichkeit zur Besichtigung ausgestellt wurden, machte für
achtzig Prozent des Diebesguts niemand ein Eigentumsrecht
geltend.
Chief Inspector Travis versuchte mit Kenny ein Abkommen
zu treffen und versprach ihm, für eine milde Strafe zu sorgen,
falls er aussagte, wem die Gegenstände gehörten.
»Es gehört alles mir«, wiederholte Kenny.
»Wenn Sie so stur bleiben, können Sie keine Hilfe von uns
erwarten«, drohte der Chief Inspector.
Kenny hatte von vornherein keine Hilfe von Travis erwartet.
Das hatte nie zu seinem Plan gehört.
Kenny war immer schon der Meinung gewesen, dass man
bei einem Strafverteidiger nicht kleinlich sein dürfe, wollte
man sich unliebsame Überraschungen vor Gericht ersparen. Er
wurde in diesem Fall von einer der führenden Kanzleien
vertreten, deren gerissenster Anwalt, Arden Duveen, 10.000
Pfund Honorar verlangte.
Kenny erklärte sich schuldig im Sinne der Anklage,
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