Archer Jeffrey
erfuhr man rein gar nichts über die Liegende, und Scotland Yard befürchtete schon, dass man es mit einem Auftragsdiebstahl zu tun hatte. Doch einige Monate später, als ein unbedeutender Dieb namens Sam Jackson beim Entfernen eines kleinen Ölgemäldes der zweiten Duchess aus dem Royal Robing Room ertappt wurde, bot er dem Beamten, der ihn verhaftet hatte, einen Handel an.«
»Was könnten Sie uns schon zu bieten haben. Jackson?«, fragte der Sergeant ungläubig.
»Ich führe Sie zur Liegenden «, antwortete Jackson, »wenn ich bloß wegen Einbruchdiebstahl angeklagt werde.« Er wusste, dass er dann die Chance hatte, eine Strafe auf Bewährung zu kriegen.
»Wenn wir die Liegende zurückbekommen«, versprach ihm der Sergeant, »gebe ich es nur als Einbruch weiter.« Da das Porträt der zweiten Duchess eine schlechte Kopie war, die auf einem Flohmarkt höchstens ein paar hundert Pfund eingebracht hätte, fand der Handel seinen Abschluss. Jackson wurde in ein Auto geschoben.
Er dirigierte drei Polizeibeamte über die Grenze von Yorkshire nach Lancashire, wo sie immer tiefer auf unbewohntes Land kamen, bis sie ein verlassenes Farmhaus erreichten. Von dort führte Jackson die Beamten zu Fuß über Äcker und Wiesen zu einem Tal, wo sie zu einer Werkstatt kamen, die hinter Bäumen versteckt war. Die Polizisten brachen die Tür auf und stellten fest, dass sie sich in einer verlassenen Gießerei befanden. Beschädigte Bleirohre, wahrscheinlich von Kirchendächern und alten Häusern der Umgebung gestohlen, lagen auf dem Boden.«
»Die Beamten durchsuchten das Haus, fanden jedoch keine Spur der Liegenden. Sie wollten Jackson schon ihre Meinung sagen, als sie ihn vor einem Riesenbrocken Bronze stehen sahen.«
»Ich habe nicht versprochen, dass Sie die Lady im Originalzustand zurückbekommen«, brummte Jackson, »nur, dass ich Sie zu ihr führe.‹«
Der Kurator wartete, bis sich auch die Langsameren den »Ooohs« und »Aaaahs« anschlossen oder wenigstens verständnisvoll nickten.
»Das Meisterwerk an den Mann zu bringen«, fuhr der Kurator fort, »hatte sich offenbar als zu schwierig erwiesen, und da die Diebe nicht mit einem Kunstwerk im Wert von über einer Million Pfund gefasst werden wollten, hatten sie die Liegende einfach eingeschmolzen. Jackson leugnete zu wissen, wer dafür verantwortlich war, gab jedoch zu, dass jemand versucht hatte, ihm den Bronzeklumpen für 1000 Pfund zu verkaufen – ironischerweise die gleiche Summe, die der fünfte Duke für das Originalmeisterwerk bezahlt hatte.«
»Einige Wochen später wurde ein riesiger Bronzeklumpen zur Nationalen Organisation für Denkmalpflege und Naturschutz gebracht. Zu unserer Bestürzung weigerte sich die Versicherung, auch nur einen Penny zu bezahlen. Die gestohlene Bronze, argumentierte die Versicherung, sei ja zurückgebracht worden. Die Anwälte der Stiftung studierten die Police sorgfältig und stellten fest, dass wir die Kosten für die Wiederherstellung beschädigter Gegenstände bekommen mussten. Die Versicherung gab nach und erklärte sich einverstanden, diese Kosten zu übernehmen.«
»Als Nächstes wandten wir uns an die Henry-MooreStiftung und erkundigten uns, ob sie uns auf irgendeine Weise behilflich sein könnten. Sie studierten den Bronzeklumpen mehrere Tage, und nachdem sie ihn gewogen und chemisch getestet hatten, pflichteten sie dem Polizeilabor bei, dass es durchaus das Metall sein konnte, das für die vom fünften Duke erstandene Originalskulptur benutzt worden war.«
»Nach längerer Überlegung war die Stiftung bereit, eine einmalige Ausnahme zu machen, was Henry Moores übliche Praxis betraf, und eine dreizehnte Liegende zu gießen, vorausgesetzt, die Stiftung bezahlte die Kosten der Gießerei. Natürlich waren wir einverstanden und erhielten eine Rechnung über mehrere tausend Pfund, die von der Versicherung übernommen wurde.
Die Stiftung stellte allerdings zwei Bedingungen, bevor sie sich einverstanden erklärte, diese einmalige dreizehnte Edition zu erschaffen. Erstens bestand sie darauf, dass wir die Statue nie zum Verkauf freigeben würden, weder zum öffentlichen noch zum privaten. Und zweitens, falls die gestohlene sechste Edition je wieder auftauchen sollte, mussten wir unser dreizehntes Exemplar an die Stiftung zurückgeben, damit die Plastik eingeschmolzen werden könne.
Die Stiftung war mit diesen Bedingungen einverstanden; deshalb können Sie sich jetzt an dem Meisterwerk erfreuen, das Sie hier vor sich sehen.«
Applaus brandete
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