Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Archer Jeffrey

Archer Jeffrey

Titel: Archer Jeffrey Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die chinesische Statue und andere Uberraschungen
Vom Netzwerk:
bestieg er dann den vierten Waggon des Zuges, der um fünf Uhr fünfzig vom Bahnsteig 5 abfuhr, und sicherte sich seinen bevorzugten Fensterplatz in Fahrtrichtung neben einem Herrn mit beginnender Glatze und der unvermeidlichen Financial Times und gegenüber der schick gekleideten Sekretärin, die erst nach ihm ausstieg und immer lange romantische Romane las. Bevor er sich niedersetzte, nahm er den Evening Standard und das neue Paket Benson & Hedges aus dem Aktenkoffer, legte beides auf die Armlehne seines Sitzes und verstaute seinen Aktenkoffer und den zusammengerollten Regenschirm im Gepäcksnetz. Hatte er sich bequem niedergelassen, öffnete er das Paket Benson & Hedges und rauchte die erste der zwei Zigaretten, mit denen er sich während der Fahrt die Lektüre des Evening Standard zu versüßen pflegte. So blieben ihm noch acht Zigaretten bis zum Abend des nächsten Tages, wenn er wieder den siebzehn-Uhr-fünfzig-Zug besteigen würde. Rollte der Zug in die Station Sevenoaks ein, raunte er den anderen Fahrgästen ein „Guten Abend“ zu (die einzigen Worte, die er während der Fahrt jemals sprach), stieg aus und ging schnurstracks zu seinem Reihenhaus am Palmerson Drive 47, wo er kurz vor sechs Uhr fünfundvierzig ankam. Von Viertel vor sieben bis halb acht las er die Zeitung zu Ende oder kontrollierte die Hausaufgaben seiner Kinder, die er mit einem ,,tss – tss“ kommentierte, wenn er einen Fehler erspähte, oder mit einem Seufzer, wenn er sich außerstande sah, der modernen Mathematik auf den Grund zu kommen. Punkt halb acht servierte ihm sein „braves Weibchen“ (auch einer seiner Lieblingsausdrücke) auf dem Küchentisch den Menüvorschlag des Tages aus Woman’s Own oder sein Lieblingsgericht: drei gebackene Fischstäbchen mit Erbsen und Kartoffelchips. In letzterem Fall pflegt er zu sagen: „Wenn Gott gewollt hätte, daß Fische wie Stäbchen aussehen, hätte er sie ohne Flossen erschaffen“, lachte und goß sich Tomatensauce über den stäbchenförmigen Fisch. Während des Essens erzählte ihm seine Frau die Ereignisse des Tages. Um neun Uhr sah er sich die offiziellen Tagesnachrichten im ersten Fernsehprogramm an (das zweite Programm schaltete er nie ein), und um halb elf legte er sich zu Bett.
    An dieser Tageseinteilung hielt Septimus jahrein, jahraus fest, eine Abwechslung brachten nur die Ferien, für die es natürlich ebenfalls ganz bestimmte Riten gab: Weihnachten wurde entweder mit Normas Eltern in Watford oder mit Septimus’ Schwester und Schwager in Epsom gefeiert, während die Familie im Sommer, als Höhepunkt des Jahres sozusagen, im Olympic Hotel auf Korfu einen vierzehntätigen Pauschalurlaub verbrachte.
    Septimus liebte diese Lebensart nicht nur, sondern geriet völlig außer sich, wenn er aus irgend einem Grund von seinen Gewohnheiten auch nur im geringsten abweichen mußte. Für dieses eintönige Leben schien er von der Wiege bis zur Bahre vorbestimmt zu sein, denn Septimus gehörte nicht zu jenen Typen, die Schriftsteller zu dickleibigen Romanen inspirieren. Durch ein Ereignis jedoch wurde er nicht nur ein wenig aus dem gewohnten Trott gebracht, sondern regelrecht aus der Bahn geworfen.
    Eines Abends, als Septimus pünktlich um fünf Uhr siebenundzwanzig die Akten über die letzte Schadensmeldung dieses Tages schloß, bat ihn sein unmittelbarer Vorgesetzter, der Abteilungsleiter, zu einer Besprechung. Dieser unerhörten Rücksichtslosigkeit wegen konnte Septimus sein Büro erste ein paar Minuten nach sechs verlassen. Obwohl im Sekretariat niemand mehr war, grüßte er die verwaisten Schreibtische und die verstummten Schreibmaschinen mit seinem unerschütterlichen „Bis morgen zur gewohnten Stunde, Mädels!“ und summte im Fahrstuhl einige Takte aus „Sound of Music“. Als er aus der Großen Gotischen Kathedrale trat, fielen die ersten Regentropfen. Widerwillig spannte Septimus seinen ordentlich eingerollten Regenschirm auf und lief mitten durch die Pfützen, in der Hoffnung, wenigstens noch den achtzehn-Uhr-zweiunddreißig-Zug zu erwischen. In der Cannon Street angekommen, stellte er sich um Zeitung und Zigaretten an und verstaute sie in seinem Aktenkoffer, ehe er zum Bahnsteig 5 stürzte. Zu seinem großen Ärger ertönte aus dem Lautsprecher eben die gleichmütige Mitteilung, daß bereits drei Züge wegen Verspätung ausgefallen seien.
    Schließlich bahnte sich Septimus einen Weg durch die drängende, regendurchnäßte Menge zum sechsten Waggon eines Zuges, der auf keinem

Weitere Kostenlose Bücher