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Archer Jeffrey

Archer Jeffrey

Titel: Archer Jeffrey Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die chinesische Statue und andere Uberraschungen
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Fahrplan aufschien. Zu seinem Entsetzen war der Zug voll mit Leuten, die er noch nie gesehen hatte, und – schlimmer noch – fast alle Plätze waren besetzt. Septimus sah sich gezwungen, mit einem Sitzplatz gegen die Fahrtrichtung in der Mitte eines Abteils vorliebzunehmen. Er warf seinen Aktenkoffer und den zerknitterten Schirm in das Gepäcksnetz und zwängte sich widerwillig in den Sitz, ehe er sich in dem Abteil umsah. Kein einziges bekanntes Gesicht unter den übrigen sechs Fahrgästen. Eine Frau mit drei Kindern füllte die ihm gegenüber liegende Sitzbank mehr als aus, während zu seiner Linken ein älterer Herr geräuschvoll schnarchte. Rechts von ihm saß vornübergebeugt ein ungefähr zwanzigjähriger junger Mann und sah beim Fenster hinaus.
    Beim Anblick dieses Burschen glaubte Septimus seinen Augen nicht zu trauen. Er trug eine schwarze Lederjacke und hautenge Jeans und pfiff vor sich hin. Sein dunkles, pomadisiertes Haar stand vorne in die Höhe und hing an den Seiten herab, und seine Fingernägel waren – im Gegensatz zu den übrigen Kleidungsstücken farblich auf seine Jacke abgestimmt. Aber das Schlimmste für jedermann von Septimus’ sensiblem Gemüt war der Slogan, der in riesigen Lettern aus Metallnieten auf den Rücken der Jacke geprägt war: „Fuck off“ lautete die schamlose Parole, die über einem weißen Totenkopf stand. Damit nicht genug, stand darunter in Gold noch zu lesen: „Scheiß drauf.“ Wo ist dieses Land hingekommen, dachte Septimus. Für derartige verbrecherische Elemente sollte wieder ein Arbeitsdienst eingeführt werden. Septimus selbst war bei der Musterung für den Militärdienst seiner Plattfüße wegen für untauglich erklärt worden.
    Septimus beschloß, diese Kreatur zu ignorieren, nahm eine Zigarette aus dem Päckchen Benson & Hedges auf seiner Armlehne, zündete sie an und begann mit der Lektüre des Evening Standard. In der festen Absicht, bis zur Ankunft in Sevenoaks noch eine zweite Zigarette zu rauchen, legte er das Päckchen wie immer auf die Armlehne zurück. Als der Zug endlich aus der Station ausfuhr, wandte sich der Schwarzgewandete Septimus zu, glotze ihn an, ergriff die Zigarettenschachtel, nahm eine Zigarette heraus, zündete sie an und begann seelenruhig vor sich hin zu paffen. Septimus konnte nicht glauben, was da vor sich ging. Er wollte schon protestieren, als ihm einfiel, daß kein Bekannter im Abteil saß, der ihm Rückendeckung hätte geben können. Er überdachte einen Augenblick seine Situation und entschied, daß Rückzug die beste Verteidigung sei (auch dies eine Lieblingsredensart von ihm).
    Als der Zug in Patts Wood hielt, legte Septimus die Zeitung beiseite, obwohl er kaum eine Zeile gelesen hatte, und nahm, wie immer, eine zweite Zigarette aus dem Päckchen. Er zündete sie an, sog den Rauch ein und wollte eben seine Zeitung wieder aufnehmen, als der Junge diese am anderen Ende erwischte und sie schließlich jeder mit einer Hälfte dasaßen. Diesmal blickte sich Septimus im Abteil nach Unterstützung um. Die Kinder ihm gegenüber begannen zu kichern, während ihre Mutter absichtlich wegschaute und ganz offensichtlich nicht in die Sache hineingezogen werden wollte. Der alte Mann zu seiner Linken schnarchte laut. Septimus wollte nun wenigstens die Zigarettenschachtel in seiner Rocktasche in Sicherheit bringen, als der Junge blitzschnell nach ihr griff, eine weitere Zigarette herauszog, sie anzündete und den Rauch tief inhalierte, um ihn Septimus mit voller Absicht mitten ins Gesicht zu blasen. Dann legte er die Schachtel wieder zurück auf die Armlehne. Septimus warf ihm einen Blick zu, in dem sich so viel Haß konzentrierte, wie er durch den grauen Nebelschleier zu projizieren vermochte. Zähneknirschend wandte er sich wieder seinem halbierten Evening Standard zu, um zu entdecken, daß ihm nichts als Stellenangebote, Gebrauchtwagen und der Sportteil geblieben waren, alles Dinge, die ihn nicht im mindesten interessierten. Als schwache Genugtuung blieb ihm nur die Gewißheit, daß der Sportteil wohl das einzige war, woran dieser Untermensch wirklich interessiert gewesen wäre. Septimus jedenfalls war außerstande weiterzulesen, so sehr zitterte er vor Empörung über die Unverschämtheit seines Nachbarn.
    Seine Gedanken kreisten nun um Rache, und allmählich nahm in seinem Kopf ein Plan Gestalt an, mit dem er den Jungen davon überzeugen würde, daß die Tugend manchmal mehr wert sei als ihr Lohn (eine Variation auf eine seiner

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