Archer Jeffrey
Vater.
Während man das beste Beefsteak aß, an das Raymond sich erinnern konnte, beobachtete er Joyce, die sich fröhlich mit seiner Mutter unterhielt. »Gott sei Dank, daß ich rechtzeitig aufgewacht bin«, sagte er laut.
»Was meinst du?« fragte Joyce.
»Ach, nichts, Liebste, nichts.«
Obwohl Raymond die meiste Zeit mit der Planung einer allgemeinen Strategie für eine künftige Labour-Regierung verbrachte, hatte er, wie alle Politiker, Probleme, die ihm besonders am Herzen lagen. Für ihn waren es die Pensionen der Kriegerwitwen, die ihn ärgerten, seit er als Junge mit seiner Großmutter zusammen gewohnt hatte. Er erinnerte sich noch gut an den Schock, als er kurz nach Absolvierung der Universität feststellte, daß seine Großmutter dreißig Jahre lang mit einer wöchentlichen Rente gelebt hatte, die nicht einmal für eine ordentliche Mahlzeit in einem Londoner Restaurant gereicht hätte.
Von den Hinterbänken aus hatte er immer wieder auf eine Einlösung der Kriegsanleihen und auf höhere Pensionen für Kriegerwitwen gedrängt. Aus seiner Post ging eindeutig hervor, welches Problem besonders die Witwenpensionen darstellten. Während seiner Jahre in der Opposition arbeitete er hartnäckig daran, immer wieder kleine Erhöhungen zu erreichen, hatte sich aber geschworen, daß er, sollte er einmal Minister werden, eine radikale Lösung finden werde.
Als er an diesem Abend aus dem Parlament zurückkehrte, fand er einen Artikel, den Joyce für ihn aus dem Standard ausgeschnitten hatte. An den Rand hatte sie geschrieben: »Das könnte auf die erste Seite aller unserer Zeitungen kommen.«
Raymond stimmte ihr zu, und am nächsten Tag versuchte er, einem unwilligen Schattenkabinett, das mehr über die geplante Aufstellung von Streikposten der Bergarbeiterschaft von Yorkshire besorgt war als über das Schicksal von Mrs. Dora Benson, seinen Standpunkt klarzumachen.
Raymond recherchierte die Geschichte genau und stellte fest, daß sie sich kaum von jenen anderen unterschied, die er im Lauf der Jahre gehört hatte, außer daß diesmal auch ein hoher Orden, das Victoria Cross, eine Rolle spielte. Jedenfalls war Mrs. Benson ein Paradefall für sein Anliegen: Sie gehörte zu den wenigen überlebenden Witwen nach Gefallenen des Ersten Weltkrieges; ihr Mann, Soldat Albert Benson, war an der Somme gefallen, als er einen Angriff auf einen deutschen Schützengraben anführte. Neun Deutsche wurden getötet, bevor Albert Benson fiel, und deshalb wurde er mit dem Victoria Cross ausgezeichnet. Seine Witwe blieb mehr als fünfzig Jahre Putzfrau in einem Gasthaus in Barking. Ihr einziger Besitz waren ein paar Kriegsanleihen, doch da es kein Einlösungsdatum gab, waren sie nicht mehr als fünfundzwanzig Pfund pro Stück wert. Niemand hätte ihrem Fall Beachtung geschenkt, hätte Mrs. Benson nicht in ihrer Verzweiflung die Auszeichnung ihres Mannes bei Sotheby’s zur Auktion angeboten.
Als Raymond alle Fakten beisammen hatte, fragte er den betroffenen Minister, ob die Regierung endlich bereit sei, die in solchen Fällen eingegangenen Versprechen einzulösen. Ein schläfriges, aber volles Unterhaus hörte dem Verteidigungsminister Simon Kerslake zu, als er versicherte, man beschäftige sich wieder einmal mit diesem Problem, und er würde das Resultat bald bekanntgeben. In der Meinung, Gould damit beruhigt zu haben, setzte sich Simon wieder. Aber Raymonds Zusatzfrage rüttelte alle Anwesenden auf.
»Weiß der Right Honourable Gentleman, daß diese vierundachtzigjährige Witwe, deren Mann im Krieg gefallen ist und das Victoria Cross bekam, ein kleineres Einkommen hat als ein sechzehnjähriger Kadett, wenn er in die Armee eintritt?«
Entschlossen, den Fall ruhen zu lassen, bis er Zeit fand sich zu informieren, stand Simon nochmals auf.
»Das wußte ich nicht, Mr. Speaker, und ich versichere dem Right Honourable Gentleman, daß ich alle von ihm erwähnten Punkte in Erwägung ziehen werde.«
Simon war überzeugt, daß der Speaker jetzt zur nächsten Anfrage übergehen werde. Angefeuert von den Bänken der Opposition, erhob sich Raymond jedoch nochmals.
»Ist sich der Right Honourable Gentleman auch bewußt, daß ein Admiral seine Karriere mit einer Pension von mehr als fünfhundert Pfund pro Woche beenden kann, während Mrs. Bensons Einkommen unverändert 47,32 Pfund pro Woche bleibt?«
Sogar von den konservativen Bänken hörte man erstaunte Ausrufe, als Raymond sich wieder setzte.
Mit dem unguten Gefühl, auf Goulds Angriff nicht vorbereitet
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