Archer Jeffrey
Wahrheit sagen und nichts weglassen. Denken Sie daran, daß ich auf Ihrer Seite bin. Sicher wissen Sie aus Ihrer Zeit bei Gericht, wie unvorteilhaft es ist, wenn man nur die Hälfte der Fakten kennt.«
Pelhams Fingerspitzen berührten sich und bildeten ein kleines Dach vor seiner Nase, während er Raymond genau zuhörte, was sich an jenem Abend zugetragen hatte.
»Wäre es möglich, daß jemand anderer Sie gesehen hat?« war Pelhams erste Frage.
Raymond überlegte und nickte. »Ja, auf der Treppe begegnete ich noch einem Mädchen.«
Pelham überflog nochmals den Brief. »Mein vorläufiger Rat«, sagte er langsam und eindringlich, während er Raymond fixierte, »lautet, nichts zu unternehmen. Ich weiß, daß Sie das nicht gern hören.«
»Aber was tue ich, wenn sie die Presse informiert?«
»Sie wird vermutlich auf jeden Fall jemanden von Fleet Street kontaktieren, ob Sie nun fünfhundert Pfund zahlen oder wesentlich mehr. Vergessen Sie nicht, Sie sind nicht der erste Minister, der erpreßt wird, Mr. Gauld. Jeder Homosexuelle im Unterhaus lebt in fortwährender Angst. Es ist eine Art Versteckspiel. Abgesehen von Heiligen gibt es nur wenige Menschen, die nichts zu verbergen haben, und der Nachteil eines Lebens in der Öffentlichkeit ist, daß eine Menge Wichtigtuer ständig auf der Suche nach solchen Dingen sind.«
Raymond schwieg und versuchte, seine Angst zu verbergen.
»Rufen Sie mich sofort unter meiner Privatnummer an, wenn der nächste Brief kommt«, sagte Pelham und schrieb eine Nummer auf.
»Danke.« Raymond war erleichtert, sein Geheimnis mit jemandem zu teilen. Pelham stand auf und begleitete ihn zur Tür. »Sicher sind Sie froh, daß das Team von Yorkshire die Provinzmeisterschaften gewonnen hat«, sagte der Anwalt, als sie durch den langen Korridor gingen. Raymond erwiderte nichts. An der Haustür schüttelten sie einander formell die Hand. »Ich warte auf Ihren Anruf«, sagte Pelham. Schade, daß der Mann sich nicht für Kricket interessiert, dachte er.
Raymond fühlte sich etwas besser, hatte jedoch den ganzen Tag Mühe, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren und fand nachts nur wenig Schlaf. Beim Lesen der Morgenzeitung war er entsetzt, wieviel Platz Charles Seymours kleinem Fehltritt gewidmet war. Was für einen Spaß würden sie erst mit ihm haben! Als die Post kam, suchte er angsterfüllt nach der bewußten Handschrift. Der Brief war unter einem Rundschreiben verborgen. Diesmal verlangte sie, er solle die fünfhundert Pfund bei einem Zeitungsstand in Pimlico abgeben. Eine Stunde später war Raymond bei Roger Pelham.
Trotz der Wiederholung der Forderung blieb der Rat des Anwalts der gleiche.
Andrew Fraser fuhr unaufhörlich von einer Stadt zur anderen. Louise beklagte sich nicht; noch nie hatte sie ihren Mann so glücklich gesehen. Die einzige kleine Abwechslung während seiner ersten drei Monate als Minister trat ein, als Andrew seinem Vater einen Brief mit der Anrede »Dear Sir Fergus« schickte, in dem er ihm erklärte, warum er den angebotenen Rat bezüglich des Highlands and Islands Board ablehnen müsse. Der Satz »Ich verbrachte viel Zeit damit, beide Standpunkte kennenzulernen«, gefiel Andrew ganz besonders.
Als er sich an diesem Abend mit einem großen Whisky in seinen Lieblingssessel setzte, sagte ihm Louise, daß sie wieder ein Kind erwarte. »Wann habe ich dazu Zeit gefunden?« fragte er und nahm sie in die Arme.
»Vielleicht in der halben Stunde zwischen der Besprechung mit dem norwegischen Fischereiminister und der Rede vor der Ölkonferenz in Aberdeen?«
Als im Oktober die Jahresversammlung der Konservativen von Sussex Downs stattfand, stellte Charles erfreut fest, daß Mrs. Blenkinsop ihren Mißtrauensantrag zurückgezogen hatte. Die lokale Presse versuchte die Sache hochzuspielen, aber die nationalen Blätter berichteten nur über das Unglück in Aberfan, bei dem hundertsechzehn Schulkinder umgekommen waren. Für Sussex Downs blieb da kein Platz.
Charles’ wohldurchdachte Rede wurde von der Vereinigung beifällig aufgenommen, und während der Fragestunde gab es keine peinlichen Fragen. Als sich die Seymours verabschiedeten, nahm Charles den Vorsitzenden beiseite und fragte: »Wie ist dir das gelungen?«
»Ich habe Mrs. Blenkinsop erklärt«, erwiderte der Vorsitzende, »daß es, wenn ihr Mißtrauensantrag zur Sprache käme, für den Abgeordneten schwer sein würde, meine Empfehlung zu unterstützen, ihr einen Orden für ihre Verdienste um die Partei zu verleihen. Das wird dir
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