Archer Jeffrey
Urururgroßvater focht an Kosciuszkos
Seite und später kämpfte er mit Dabrowskis Legionen für den mächtigen Herrscher Napoleon Bonaparte.«
»Und wurde für seine Verdienste um Polen zum Baron Rosnovski erhoben, ein Titel, den Ihre Familie in Erinnerung an jene großen Tage ewig tragen wird«, sagte Wladek so bestimmt, als würde er eines Tages den Titel erben.
»Die großen Tage werden wiederkehren«, sagte der Baron ruhig. »Ich bete nur, daß ich sie noch erlebe.«
Zu Weihnachten brachten die Bauern des Gutes ihre Familien ins Schloß, um die Heilige Nacht zu feiern. Sie fasteten den ganzen Weihnachtsabend, und die Kinder schauten aus dem Fenster nach dem ersten Stern, mit dessen Erscheinen das Fest begann. Der Baron sprach mit seiner schönen tiefen Stimme den Segen. Nachdem sich alle gesetzt hatten, wurde Wladek stets verlegen, weil Jasio Koskiewicz bei jedem der dreizehn Gänge herzhaft zugriff - vom Borschtsch bis zu den Kuchen und Pflaumen - und auf dem Nachhauseweg, wie in früheren Jahren, im Wald erbrechen würde.
Nach dem Fest genoß es Wladek, die Geschenke von dem mit Kerzen und Früchten geschmückten Weihnachtsbaum an die vor Ehrfurcht stummen Bauernkinder zu verteilen - eine Puppe für Sophia, ein Feldmesser für Josef, ein neues Kleid für Florentyna, das erste Geschenk, das Wladek je vom Baron erbeten hatte.
»Es stimmt«, sagte Josef zu seiner Mutter, als er von Wladek sein Geschenk empfing, »er ist nicht unser Bruder, Matka.«
»Nein«, erwiderte sie, »aber er wird immer mein Sohn bleiben.«
Im Winter und Frühling 1914 trainierte Wladek seinen Körper weiter und lernte eifrig. Im Juli dann verließ der deutsche Lehrer plötzlich das Schloß, ohne sich zu verabschieden; keiner der Knaben wußte, warum. Es fiel ihnen nicht ein, diese Abreise mit der Ermordung des Erzherzogs Franz Ferdinand in Sarajewo zu verbinden, die ihnen von ihrem anderen Lehrer mit ungewöhnlich feierlichen Worten beschrieben wurde.
Der Baron zog sich von ihnen zurück; keiner der Jungen wußte, warum. Die jungen Bediensteten, an denen die Kinder gehangen waren, verließen, einer nach dem anderen, das Schloß; keiner der Jungen wußte, warum. Als das Jahr vorüberging, wurde Wladek stärker und Leon größer, und beide wurden klüger.
1915, an einem Sommermorgen - eine Zeit schöner, geruhsamer Tage - brach der Baron zu einer Reise nach Warschau auf, um, wie er sich ausdrückte, seine Angelegenheiten zu ordnen. Er blieb dreieinhalb Wochen fort, fünfundzwanzig Tage, die Wladek jeden Morgen auf seinem Kalender im Schlafzimmer abstrich; es schien ihm eine Ewigkeit zu sein. An dem Tag, an dem der Baron zurückkehrte, gingen die beiden Jungen zum Bahnhof in Slonim, um den Zug, der nur einen einzigen Waggon mitführte und nur einmal wöchentlich verkehrte, zu erwarten und den Baron zu empfangen. Schweigend fuhren die drei nach Hause.
Wladek fand, daß der große Mann müde und gealtert aussah, ein weiterer unerklärlicher Umstand. In der folgenden Woche führte der Baron oftmals rasche, besorgte Zwiegespräche mit den älteren Bediensteten, die sofort unterbrochen wurden, wenn Leon oder Wladek das Zimmer betraten - eine ungewohnte Heimlichtuerei; und die beiden Jungen begannen zu fürchten, sie könnten deren ungewollter Anlaß sein. Wladek hatte große Angst, daß der Baron ihn in das Haus des Wildhüters zurückschicken würde schließlich war er in diesem Schloß ein Fremder.
Eines Abends, ein paar Tage nach seiner Rückkehr, rief der Baron die Kinder zu sich in die große Halle. Ängstlich schlichen sie hinein. Ohne weitere Erklärungen teilte ihnen der Baron mit, daß sie zu einer großen Reise aufbrechen würden. Das kurze Gespräch, das Wladek damals eher belanglos schien, blieb ihm sein ganzes Leben in Erinnerung.
»Meine lieben Kinder«, begann der Baron mit leiser, stockender Stimme, »die Kriegshetzer aus Deutschland und Österreich-Ungarn stehen vor den Toren Warschaus und werden bald hier sein.«
Wladek erinnerte sich an einen Satz, den der polnische Lehrer dem deutschen während der letzten Tage an den Kopf geworfen hatte und den er nicht verstanden hatte. »Bedeutet das, daß die Stunde der unterdrückten Völker Europas angebrochen ist?« fragte er.
Zärtlich betrachtete der Baron Wladeks unschuldiges Kindergesicht. »Unser Nationalbewußtsein hat hundertfünfzig Jahre Unterdrückung überlebt«, erwiderte er. »Vielleicht steht das Schicksal Polens ebenso auf dem Spiel wie das Serbiens. Aber wir
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