Archer Jeffrey
um, um nach Hause zu gehen, und sah ein paar Meter weiter einen alten Mann in einem schwarzen Mantel, den Hut ins Gesicht gezogen und einen Schal um den Hals. Auch ihm war kalt. Kein Abend für alte Männer, dachte William, als er auf ihn zuging. Und dann sah er den Silberreif am Handgelenk, knapp unter dem Ärmel. Wie ein Blitz ging es ihm auf, und zum erstenmal fügte sich alles zusammen: das Plaza, dann Boston, dann Deutschland, und jetzt die Fifth Avenue. Er mußte lang dort gestanden sein, denn sein Gesicht war vom Wind gerötet. Die unverwechselbaren blauen Augen starrten William an. Jetzt waren die beiden Männer nur ein paar Meter voneinander entfernt. Als sie aneinander vorübergingen, hob William grüßend den Hut. Der alte Mann erwiderte den Gruß, und ohne ein Wort zu wechseln, gingen sie ihrer Wege.
Ich muß nach Hause, bevor sie kommen, dachte William. Die Freude, Richard zu sehen, würde das Leben wieder lebenswert machen. Er mußte Florentyna um Verzeihung bitten und darauf vertrauen, daß sie verstehen würde, was er heute kaum mehr selbst verstand. So ein prächtiges Mädchen, sagten ihm alle.
Als er die 68. Straße erreichte, suchte er nach dem Schlüssel und öffnete das Haustor. Man muß alle Lichter aufdrehen, sagte er dem Mädchen, und das Feuer im Kamin anzünden, um die Gäste willkommen zu heißen. Er war sehr zufrieden und sehr, sehr müde.
»Ziehen Sie die Vorhänge zu und zünden Sie die Kerzen auf dem Eßtisch an«, sagte er. »Es gibt so viel zu feiern.«
William konnte die Ankunft kaum erwarten; er saß in seinem alten roten Lederstuhl neben dem lodernden Feuer und dachte glücklich an den bevorstehenden Abend. Enkel um ihn, die verlorenen Jahre… Wann hatte sein kleiner Enkel zum erstenmal »drei« gesagt? Eine Gelegenheit, die Vergangenheit zu begraben und Vergebung für die Zukunft zu erlangen. Nach dem kalten Wind war das Zimmer angenehm und warm. Aber der Ausflug war der Mühe wert gewesen.
Ein paar Minuten später waren unten aufgeregte Stimmen zu hören, und das Hausmädchen kam, um William zu melden, daß sein Sohn angekommen sei. Er sei in der Halle - mit seiner Mutter, seiner Frau und den reizendsten Kindern, die das Mädchen je gesehen hatte. Dann lief sie fort, um sich zu vergewissern, daß das Essen für Mr. Kane rechtzeitig fertig sein würde. Sicher wollte er, daß an diesem Abend alles perfekt sei.
Als Richard das Zimmer betrat, war Florentyna an seiner Seite. Sie sah strahlend aus.
»Vater«, sagte er, »ich möchte dir meine Frau vorstellen.«
William Lowell Kane hätte sich umgedreht, um sie zu begrüßen, aber das konnte er nicht. Er war tot.
42
Abel legte den Umschlag auf den Tisch neben seinem Bett. Er war noch nicht angekleidet. In letzter Zeit stand er selten vor Mittag auf. Er versuchte das Frühstückstablett von seinen Knien auf den Boden zu stellen, eine Bewegung, die für seine steifen Glieder zu schwierig war. Es endete stets damit, daß er das Tablett mit einem Krach fallen ließ. Auch heute war es nicht anders. Es war ihm egal. Wieder nahm er den Umschlag in die Hand und las den Brief zum zweitenmal. »Wir erhielten von dem verstorbenen Mr. Curtis Fenton, ehemals Direktor der Continental Trust Bank, La Salle Street, Chikago, den Auftrag, Ihnen, wenn bestimmte Umstände eingetreten sind, den beigelegten Brief zu senden. Bitte bestätigen Sie den Erhalt dieses Briefes mit Ihrer Unterschrift auf der Kopie, die Sie bitte in dem beigeschlossenen, adressierten Umschlag an uns retournieren wollen.« »Verdammte Anwälte«, brummte Abel und riß den Umschlag auf.
Lieber Mr. Rosnovski, aus Gründen, die Sie im folgenden erfahren werden, blieb dieser Brief bis heute in den Händen meines Anwalts.
Als Sie 1951, nach mehr als zwanzig Jahren, Ihre Konten bei der Continental Trust schlossen, war ich natürlich unglücklich und bestürzt. Bestürzt nicht nur, weil ich einen der besten Kunden unserer Bank verloren hatte, und so etwas immer betrüblich ist, sondern vor allem, weil ich das Gefühl hatte, unehrenhaft gehandelt zu haben. Was Sie damals nicht wissen konnten, war, daß ich von Ihrem Geldgeber ausdrücklich angewiesen wurde, Ihnen bestimmte Fakten nicht mitzuteilen.
Als Sie mich 1929 zum erstenmal in der Bank besuchten, suchten Sie finanzielle Hilfe, um die Schulden von Mr. Davis Leroy zu begleichen und jene Hotels zu übernehmen, die damals die RichmondGruppe bildeten. Obwohl ich an verschiedene Financiers herantrat, gelang es mir nicht, einen
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