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Archer Jeffrey

Archer Jeffrey

Titel: Archer Jeffrey Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kain und Abel
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ausstellen.« Er wandte sich an Wladek. »Ich setze dich in den Zug, und ich
wünsche dich nie mehr in Moskau zu sehen oder von dir zu hören.
Sonst lasse ich dich verhaften und ins nächste Gefängnis werfen.
Dann wirst du im Handumdrehen wieder im Arbeitslager sein, falls
man dich nicht vorher erschießt.«
Der Stationsvorstand schaute auf die Uhr auf dem Küchenbord: fünf
nach elf. Er drehte sich zu seiner Frau um. »Um Mitternacht geht ein
Zug nach Odessa. Ich werde ihn selbst zum Bahnhof bringen, damit
ich sicher bin, daß er Moskau verläßt. Hast du Gepäck, Junge?« Wladek wollte eben verneinen, als die Frau sagte: »Ja, ich werde es
holen.«
Wladek und der Stationsvorstand schauten einander voller
Verachtung an. Die Frau blieb lang aus. Einmal schlug die Küchenuhr
während ihrer Abwesenheit. Noch immer wechselten die beiden kein
Wort, und der Stationsvorsteher wandte keinen Blick von Wladek. Die
Frau kehrte mit einem großen braunen Paket zurück, das sie mit einer
Schnur zugebunden hatte. Wladek schaute es an und wollte
protestieren, aber als sich ihre Blicke trafen, las Wladek so viel Furcht
in ihren Augen, daß er nur »vielen Dank« stammelte.
»Iß das«, sagte sie und schob ihm eine Schüssel mit kalter Suppe zu. Er gehorchte, obwohl sein verengter Magen übervoll war. So rasch
er konnte, würgte er die Suppe hinunter, um der Frau nicht noch mehr
Schwierigkeiten zu bereiten.
»Tier«, sagte der Mann.
Wladek schaute ihn an, und seine Augen waren haßerfüllt. Er
bemitleidete die Frau, die mit diesem Mann ein Leben verbringen
mußte.
»Komm, Junge, es ist Zeit«, sagte der Stationsvorstand. »Wir
wollen doch nicht, daß du den Zug versäumst, nicht wahr?« Wladek folgte dem Mann aus der Küche. Als er an der Frau
vorbeikam, zögerte er, dann berührte er ihre Hand und spürte ihre
Erwiderung. Es wurde nichts gesprochen; Worte waren unzulänglich.
Der Stationsvorstand und der Flüchtling schlichen durch die Straßen
Moskaus und hielten sich im Schatten, bis sie den Bahnhof erreichten.
Der Stationsvorstand kaufte eine Karte nach Odessa und übergab
Wladek das kleine rote Papier.
»Und mein Paß?« fragte Wladek trotzig.
Aus einer Rocktasche zog der Mann ein amtlich aussehendes
Formular, unterschrieb es eilig und steckte es Wladek ängstlich zu. Er
hielt fortwährend nach möglichen Gefahren Ausschau. Diese Blicke
hatte Wladek während der vergangenen Jahre nur zu oft gesehen: die
Blicke eines Feiglings.
»Komm mir nie mehr unter die Augen«, sagte der Mann kalt und
brutal.
Auch diesen Tonfall hatte Wladek in den vergangenen vier Jahren
oft gehört. Er schaute auf und wollte etwas sagen, doch der Stationsvorstand hatte sich bereits in die Schatten der Nacht zurückgezogen. Dort gehörte er auch hin. Wladek blickte in die Augen der Menschen, die an ihm vorbeieilten. Die gleichen Augen, die gleiche Angst; war irgend jemand auf dieser Welt frei? Wladek drückte das Paket fest unter den Arm, zog die Kappe herunter und ging auf die Sperre zu. Diesmal fühlte er sich sicherer; er zeigte der Wache seinen Arbeitspaß und wurde wortlos durchgelassen. Er stieg in den Zug ein. Sein Aufenthalt in Moskau war kurz gewesen, und er würde die Stadt nie mehr wiedersehen, aber sich immer an die Güte der Frau erinnern, an die Frau des Stationsvorstandes, die Genossin,
die Kameradin… Er wußte nicht einmal ihren Namen.
Wladek blieb während der ganzen Reise in der allgemeinen Klasse.
Odessa schien weniger weit von Moskau zu sein als Irkutsk - auf der
Karte des Arztes eine Daumenlänge, in Wahrheit eintausendvierhundert Kilometer. Während Wladek seine unzulängliche Karte
studierte, wurde er wieder von einem Würfelspiel abgelenkt, das in
seinem Waggon stattfand. Er faltete das Papier zusammen, steckte es
in das Anzugfutter zurück und schaute interessiert dem Spiel zu. Er
stellte fest, daß einer der Spieler fortwährend gewann, selbst wenn er
wenig Chancen hatte. Bei näherer Betrachtung erkannte er, daß der
Mann schwindelte.
Wladek ging an das andere Wagenende, um sich zu vergewissern,
daß er den Schwindler noch immer herausfinden konnte, doch es
gelang ihm nicht. Er ging zurück und setzte sich unter die Spieler.
Wann immer der Schwindler zweimal hintereinander verlor, setzte
Wladek einen Rubel ihm nach und verdoppelte, bis er gewann.
Entweder fühlte der Schwindler sich geschmeichelt oder er hielt es für
angezeigt, Wladeks Glück nicht zu kommentieren; jedenfalls schaute
er nicht einmal in dessen Richtung. Als sie

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