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Archer Jeffrey

Archer Jeffrey

Titel: Archer Jeffrey Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kain und Abel
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die nächste Station
erreichten, hatte Wladek vierzehn Rubel gewonnen. Für zwei Rubel
kaufte er einen Apfel und einen Teller heiße Suppe. Er hatte genug
gewonnen, um sich während der ganzen Reise zu verköstigen.
Beglückt über die Vorstellung, daß er mit seinem neuen System noch
einiges dazugewinnen konnte, dankte er im stillen dem unbekannten
Spieler und stieg, bereit, seine Strategie fortzusetzen, wieder in den
Zug ein. Als sein Fuß die oberste Stufe berührte, wurde er in eine
Ecke geschleudert, während jemand ihm seinen Arm auf den Rücken
drehte und sein Gesicht gegen die Wand des Waggons preßte. Er
bekam Nasenbluten und spürte, wie ein Messer sein Öhr berührte. »Hörst du mich, Junge?«
»Ja«, sagte Wladek tödlich erschrocken.
»Wenn du wieder in meinen Waggon kommst, schneide ich dir
dieses Ohr ab. Dann wirst du mich nicht mehr hören, nicht wahr?« »Nein, Herr.«
Wladek spürte, wie die Messerspitze die Haut hinter seinem Ohr
aufschlitzte und Blut über seinen Hals lief.
»Das soll dir eine Warnung sein, Junge.«
Plötzlich stieß der Spieler sein Knie mit aller Kraft gegen Wladeks
Nieren. Wladek fiel zu Boden. Eine Hand suchte in seiner
Manteltasche, und die eben erst gewonnenen Rubel verschwanden. »Die gehören mir«, sagte die Stimme.
Wladek blutete aus der Nase und hinter dem Ohr. Als er wagte, aus
seiner Ecke aufzuschauen, war der Korridor leer und der Spieler
verschwunden. Wladek versuchte aufzustehen, aber seine Beine
versagten ihm den Dienst. Eine Weile blieb er in seiner Ecke liegen.
Schließlich hinkte er langsam bis an das andere Ende des Zuges,
möglichst weit weg von dem Waggon der Spieler. In einem Wagen,
der fast nur von Frauen und Kindern besetzt war, ließ er sich fallen
und schlief ein.
An der nächsten Station stieg Wladek nicht aus. Er öffnete sein
Paket und untersuchte den Inhalt: Äpfel, Brot, Nüsse, zwei Hemden,
eine Hose und sogar Schuhe. Was für eine Frau! Was für ein Mann. Wladek aß, schlief und träumte. Und nach sechs Nächten und fünf
Tagen fuhr der Zug endlich im Bahnhof von Odessa ein. Wieder eine
Kontrollsperre, doch diesmal schaute ihn die Wache kaum an; seine
Papiere waren in Ordnung. Jetzt war er völlig auf sich selbst
angewiesen. Er besaß immer noch hundertfünfzig Rubel, in sein
Anzugfutter eingenäht, und hatte nicht die Absicht, auch nur einen
Rubel davon auszugeben.
Den Rest des Tages verbrachte Wladek damit, in der Stadt
umherzuwandern und sich zu orientieren. Aber er wurde fortwährend
von Dingen abgelenkt, die er noch nie gesehen hatte: von großen
Stadthäusern, Geschäften mit Schaufenstern, Händlern, die ihre bunte
Ware in den Straßen feilhielten, Gaslichtern, ja sogar ein Affe an
einem Strick war da. Wladek ging zum Hafen und schaute auf die
offene See. Ja, das war es, was der Baron einen Ozean genannt hatte.
Sehnsüchtig schaute er auf die blaue Weite. Dort lag die Freiheit, dort
lag die Rettung. Die Stadt mußte einige Kämpfe erlebt haben. Die
ausgebrannten Häuser, der Schmutz und das Elend nahmen sich grotesk aus in der lauen, von Blumenduft erfüllten Sommerluft. Wladek fragte sich, ob die Stadt noch im Kriegszustand war. Es gab niemanden, den er fragen konnte. Als die Sonne hinter den hohen Häusern verschwand, begann er nach einem Nachtquartier zu suchen. Er bog in eine Nebenstraße ein und marschierte weiter. In seinem bodenlangen Pelzmantel, das braune Paket unter dem Arm, mußte er einen seltsamen Anblick geboten haben. Nichts erschien ihm sicher genug, bis er auf einem toten Gleise einen verlassenen alten Waggon stehen sah. Vorsichtig schaute er hinein. Dunkelheit und Stille. Leer. Er warf sein Paket in den Waggon, zog seinen müden Körper die Treppe hinauf und kroch in eine Ecke, um zu schlafen. Als sein Kopf den Boden berührte, warf sich jemand auf ihn, und zwei Hände legten sich um seinen Hals. Er rang nach Atem. »Wer bist du?« zischte eine
Stimme in der Dunkelheit; sie klang kaum älter wie seine.
»Wladek Koskiewicz.«
»Woher kommst du?«
»Moskau.«
Beinahe hätte er Slonim gesagt.
»Jedenfalls wirst du nicht in meinem Waggon schlafen,
Moskowiter«, sagte die Stimme.
»Tut mir leid«, sagte Wladek, »ich wußte es nicht.«
»Hast du Geld?«
Zwei Daumen preßten sich in Wladeks Hals.
»Wenig«, sagte Wladek.
»Wieviel?«
»Sieben Rubel.«
»Gib sie her.«
Wladek kramte in der Manteltasche. Auch der Junge steckte seine
Hand hinein, und der Druck um Wladeks Hals ließ nach. Blitzschnell
stieß Wladek sein Knie

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