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Archer Jeffrey

Archer Jeffrey

Titel: Archer Jeffrey Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kain und Abel
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sie ihn jetzt
anzeigen? Sie streckte die Hand aus und er nahm sie, wie es ein
Dreizehnjähriger tun würde, der seine Mutter begleitet. Sie ging auf
eine für Frauen bestimmte Toilette zu. Wladek zögerte. Sie schob ihn
hinein und forderte ihn auf, seine Kleider auszuziehen. Er gehorchte
ihr so vorbehaltlos, wie er seit dem Tod des Barons niemandem mehr
gehorcht hatte. Während er sich auszog, drehte sie den einzigen
vorhandenen Wasserhahn auf, der ein paar Tropfen kaltes, bräunliches
Wasser produzierte. Angewidert schaute sie es an. Für Wladek aber
war es nach dem Wasser im Lager eine beachtliche Verbesserung. Mit
einem feuchten Lappen wusch die Frau seine Wunden und versuchte ihn ohne viel Erfolg zu säubern. Als sie die Narbe an seinem Bein sah, zuckte sie zusammen. Sie versuchte, so vorsichtig wie möglich zu sein, und Wladek gab keinen Laut von sich, obwohl jede Berührung
schmerzte.
»Wenn wir zu Hause sind, werde ich diese Wunden besser
versorgen«, sagte sie. »Vorläufig müssen wir damit zufrieden sein.« Dann bemerkte sie den silbernen Armreif, studierte die Gravierung
und schaute Wladek ernst an. »Gehört er dir?« fragte sie. »Von wem
hast du ihn gestohlen?«
Wladek war empört. »Ich habe ihn nicht gestohlen. Mein Vater gab
ihn mir, bevor er starb.«
Wieder schaute sie ihn an, und der Ausdruck ihrer Augen veränderte
sich. War es Angst oder Respekt? Sie senkte den Kopf. »Sei
vorsichtig, Wladek, für eine solche Kostbarkeit sind Menschen bereit
zu morden.«
Er nickte und begann sich rasch wieder anzuziehen. Sie kehrten zu
ihrem Waggon zurück. Ein Aufenthalt von einer Stunde in einer
Station war nichts Ungewöhnliches, und als der Zug langsam abfuhr,
war Wladek froh, wieder das Rattern der Räder unter sich zu spüren.
Zwölfeinhalb Tage brauchte der Zug nach Moskau. Wann immer ein
Schaffner erschien, gab die Frau Wladek als ihren Sohn aus; Wladek
versuchte vergeblich, jung und unerfahren auszuschauen, die Frau
spielte überzeugend eine Mutter. Die Schaffner verbeugten sich
immer respektvoll vor der älteren Frau, und Wladek überlegte, daß ein
Stationsvorstand in Rußland sehr wichtig sein mußte.
Am Ende der langen Reise vertraute Wladek seiner Begleiterin voll
und ganz und freute sich, ihr Haus kennenzulernen. Der Zug erreichte
Moskau am frühen Nachmittag. Obwohl Wladek schon einiges erlebt
hatte, kannte er noch keine große Stadt, geschweige denn die
Hauptstadt von Rußland. Er war völlig verstört, und die Angst vor
dem Unbekannten schnürte ihm die Kehle zu. Es gab so viele
Menschen, und alle eilten in verschiedene Richtungen. Die ältere Frau
fühlte seine Furcht.
»Bleib bei mir, sprich nicht, und was immer geschieht, nimm deine
Mütze nicht ab.«
Wladek nahm die Bündel aus dem Gepäcknetz, zog die Kappe über
die Ohren - sein Kopf war bereits mit schwarzen Stoppeln bedeckt -
und folgte der Frau auf den Bahnsteig. Vor einer Sperre stauten sich
die Menschen. Bevor sie durch einen schmalen Ausgang hinausdurften, mußte jeder seinen Ausweis herzeigen. Als sie sich der Sperre näherten, hörte Wladek sein Herz wie eine Trommel schlagen, doch als sie an die Reihe kamen, war die Angst urplötzlich verschwunden. Die Wache warf bloß einen Blick auf die Dokumente
der Frau.
»Genossin«, sagte er und salutierte. Er schaute Wladek an. »Mein Sohn«, erklärte sie.
»Natürlich, Genossin.«
Wieder salutierte er.
Wladek war in Moskau.
Trotz des Vertrauens, das er seiner Begleiterin entgegenbrachte, war
sein erster Instinkt, davonzulaufen. Hundertfünfzig Rubel hätten
jedoch kaum zum Leben genügt, also entschloß er sich, vorläufig zu
bleiben, wo er war. Später konnte er immer noch davonlaufen. Vor
dem Bahnhof wurden sie von einem Pferdewagen erwartet, der die
Frau und ihren neuen Sohn nach Hause brachte. Der Stationsvorstand
war nicht da, als sie ankamen, und die Frau machte sich sofort daran,
für Wladek ein Bett herzurichten. Dann setzte sie Wasser auf, goß es
in eine große Blechwanne und forderte Wladek auf, in die Wanne zu
steigen. Abgesehen von einem kurzen Untertauchen im Fluß, war es
Wladeks erstes Bad seit vier Jahren. Sie erhitzte etwas mehr Wasser,
und Wladek erneuerte seine Bekanntschaft mit Seife. Sie wusch ihm
den Rücken, den einzigen Körperteil, dessen Haut unversehrt war. Das
Wasser begann sich zu verfärben, und nach zwanzig Minuten war es
schwarz. Sobald Wladek trocken war, rieb die Frau ihm Arme und
Beine mit einer Salbe ein und bandagierte die Stellen, die

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