Archer Jeffrey
und stellte sich vor.
»Ich bin Wladek Koskiewicz.«
»Ich bin Jerzy Nowak aus Warschau«, erwiderte der Junge auf polnisch, »und ich werde in Amerika mein Glück machen.«
Der Junge streckte die Hand aus.
Wladek und Jerzy verbrachten ihre Zeit vor der Abfahrt des Schiffs damit, einander ihre Lebensgeschichte zu erzählen, und beide waren froh, jemanden zu haben, mit dem sie ihre Einsamkeit teilen konnten. Keiner von beiden war bereit zuzugeben, daß er von Amerika keine Ahnung hatte. Jerzy hatte beide Eltern im Krieg verloren, sonst aber wenig Aufregendes erlebt. Wladeks Geschichten faszinierten ihn: der Sohn eines Barons, aufgewachsen in der Hütte eines Wildhüters, von Deutschen und Russen gefangengenommen, aus Sibirien und später aus den Händen eines türkischen Strafvollziehers entkommen - dank eines schweren Silberreifs, an dem sich Jerzy nicht satt sehen konnte. Wladek hatte in fünfzehn Jahren mehr erlebt als Jerzy von seinem ganzen Leben erwarten konnte. Die ganze Nacht erzählte Wladek von seiner Vergangenheit, während Jerzy aufmerksam zuhörte. Keiner von ihnen wollte schlafen, keiner zugeben, daß er Angst vor der Zukunft hatte.
Am nächsten Morgen lief die Black Arrow aus. Wladek und Jerzy standen an der Reling und schauten zu, wie Konstantinopel in der blauen Ferne versank. Nach dem ruhigen Marmarameer machte die rauhe Ägäis den Jungen und den meisten anderen Passagieren zu schaffen. Die für die Zwischendeckpassagiere bestimmten beiden Waschräume mit je zehn Waschbecken, sechs Toiletten und Wasserhähnen, aus denen kaltes Salzwasser strömte, waren bald überschwemmt. Nach ein paar Tagen wurde der Gestank beinahe unerträglich.
Das Essen wurde in einem großen, schmutzigen Speisesaal auf langen Tischen serviert: warme Suppe, Kartoffeln, Fisch, gekochtes Rindfleisch und Kohl, schwarzes oder helles Brot. Seit Rußland hatte Wladek nicht mehr so schlecht gegessen, und er war froh über den Proviant, den er mitgenommen hatte: Würste, Nüsse und ein wenig Brandy. In einer Ecke der Kabine kauernd teilten Wladek und Jerzy diese Schätze.
Am dritten Tag auf See brachte Jerzy zum Nachtessen ein polnisches Mädchen an den Tisch. Sie hieß, sagte er beiläufig zu Wladek, Zaphia. Es war das erstemal, daß Wladek mehr als einen Blick auf ein weibliches Wesen warf; aber Zaphia wurde er nicht müde anzuschauen. Sie erweckte Erinnerungen an Florentyna: die warmen grauen Augen, das lange blonde Haar, das ihr auf die Schultern fiel, die sanfte Stimme. Wladek bemerkte, daß er sie berühren wollte. Manchmal lächelte das Mädchen zu Wladek hinüber, der sich schmerzlich bewußt war, um wieviel besser sein Freund Jerzy aussah als er. Er trottete mit, als Jerzy Zaphia zur Frauenabteilung zurückbegleitete.
Nachher wandte sich Jerzy ein wenig ärgerlich an ihn. »Kannst du dir nicht ein eigenes Mädchen suchen? Die gehört mir.«
Wladek war nicht bereit zuzugeben, daß er keine Ahnung hatte, wie man sich ein eigenes Mädchen sucht.
»Wenn wir in Amerika sind, werden wir genug Zeit für Mädchen haben«, sagte er verächtlich.
»Warum bis Amerika warten? Ich will auf diesem Schiff so viele haben wie irgend möglich.«
»Wie willst du das anstellen?« fragte Wladek, begierig, neue Kenntnisse zu erwerben, ohne seine Unwissenheit zugeben zu müssen.
»Wir fahren noch zwölf Tage auf diesem gräßlichen Pott, und ich werde zwölf Weiber haben«, prahlte Jerzy.
»Was willst du mit zwölf Frauen machen?« fragte Wladek.
»Sie bumsen, was sonst?«
Wladek schaute ihn verwirrt an.
»Mein Gott«, sagte Jerzy, »du willst doch nicht behaupten, daß ein Kerl, der die Deutschen überlebt hat und den Russen entkommen ist, der mit zwölf Jahren einen Mann getötet hat und dem um ein Haar von den wilden Türken die Hand abgehackt worden wäre, noch nie eine Frau gehabt hat?«
Er lachte laut, und sofort befahl ihm ein vielsprachiger Chor aus den umgebenden Betten, still zu sein.
»Also«, fuhr Jerzy flüsternd fort, »es ist an der Zeit, deine Erziehung zu erweitern, denn ich hab endlich etwas gefunden, was ich dich lehren kann.«
Er beugte sich hinunter über seine Bettkante, obwohl er Wladeks Gesicht im Dunkeln nicht erkennen konnte. »Zaphia ist ein gescheites Mädchen. Ich glaube, man kann sie dazu bringen, deine Erziehung ein wenig zu erweitern. Ich werde das in die Hand nehmen.«
Wladek antwortete nicht.
Das Thema wurde nicht mehr berührt, aber am nächsten Tag war Zaphia freundlicher zu Wladek. Sie saß bei den Mahlzeiten
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