Archer Jeffrey
wird.«
11
Wladek blieb achtzehn Monate im polnischen Konsulat in Konstantinopel, arbeitete Tag und Nacht für Pawel Zaleski und wurde dessen unentbehrliche Stütze und guter Freund. Nichts war zuviel für Wladek, und Zaleski fragte sich bald, wie er seine Arbeit vor Wladeks Ankunft bewältigt hatte. Einmal in der Woche ging Wladek in die britische Botschaft, um in der Küche mit Mrs. Henderson, der schottischen Köchin, zu essen, und einmal speiste er sogar mit dem Zweiten Konsul Seiner Britischen Majestät persönlich.
Um sie herum löste sich die alte Welt des Islams allmählich auf, und das Osmanische Reich zerfiel. Der Name Mustafa Kemal war in aller Munde. Das Gefühl einer bevorstehenden Veränderung machte Wladek unruhig. Seine Gedanken kehrten ununterbrochen zum Baron zurück und zu allen jenen im Schloß, die er geliebt hatte. In Rußland hatte die Notwendigkeit des Überlebens sie aus seinen Gedanken verdrängt, aber in der Türkei erstanden sie wieder auf - eine schweigende, langsame Prozession. Manchmal sah er seine Lieben gesund und glücklich - Leon, im Fluß schwimmend, Florentyna, die im Schlafzimmer mit der Katze spielte, das Gesicht des Barons, markant und stolz im abendlichen Kerzenlicht. Aber jedes dieser geliebten Gesichter begann nach einer Weile zu verschwinden, und sosehr Wladek auch versuchte, sie festzuhalten, sie wurden zu gräßlichen letzten Erinnerungen; Leon leblos auf ihm liegend, Florentyna in Todesqualen und der Baron, gebrochen und erblindet.
Wladek begann sich mit dem Gedanken abzufinden, daß er in dieses von Gespenstern bevölkerte Land erst zurückkehren konnte, wenn er aus seinem Leben etwas gemacht hatte. Diese Überzeugung trieb ihn zu dem Entschluß - wie vor langer Zeit seinen Landsmann Tadeusz Kosciuszko, von dem ihm der Baron so viele aufregende Geschichten erzählt hatte -, nach Amerika zu gehen. Pawel Zaleski nannte die Vereinigten Staaten die »Neue Welt«, und allein der Name gab Wladek Hoffnung auf die Zukunft und auf eine Möglichkeit, im Triumph nach Polen zurückzukehren. Pawel Zaleski trieb das Geld auf, um für Wladek die Schiffspassage auf einem Einwandererdampfer nach Amerika zu bezahlen. So etwas war nicht leicht zu bekommen, denn die Überfahrten waren immer schon mindestens für ein Jahr ausgebucht. Wladek schien es, als wolle ganz Osteuropa flüchten und ein neues Leben in den Staaten beginnen.
Im Frühling 1921 verließ Wladek Koskiewicz endlich Konstantinopel und schiffte sich auf der S S. Black Arrow nach Ellis Island, New York, ein. Er besaß einen Koffer, der alle seine Habseligkeiten enthielt, und eine Reihe von Dokumenten, die ihm Pawel Zaleski ausgestellt hatte.
Der polnische Konsul begleitete ihn an den Kai und umarmte ihn herzlich. »Geh mit Gott, mein Junge.«
Aus den Tiefen von Wladeks früherer Kindheit kam ganz selbstverständlich die traditionelle polnische Antwort. »Bleib mit Gott«, erwiderte er.
Als er das Ende der Gangways erreichte, erinnerte sich Wladek an seine furchtbare Reise von Odessa nach Konstantinopel. Diesmal war keine Kohle zu sehen - da waren nur Menschen, überall Menschen Polen, Litauer, Esten, Ukrainer und viele andere, deren Herkunft Wladek nicht kannte. Er preßte seine Habseligkeiten an sich und wartete in einer Schlange - die erste von vielen, mit denen er später in Gedanken seine Einreise in die Vereinigten Staaten verband.
Seine Papiere wurden sehr genau geprüft, offenbar hegte der Offizier den Verdacht, daß Wladek dem türkischen Militärdienst entkommen wolle. Aber Paul Zaleskis Dokumente erwiesen sich als einwandfrei. Als Wladek sah, wie andere zurückgewiesen wurden, wünschte er Gottes Segen auf das Haupt seines Landsmannes herab.
Hierauf folgten eine Impfung und eine flüchtige medizinische Untersuchung, die Wladek ohne achtzehn Monate Erholung und guter Nahrung in Konstantinopel bestimmt nicht bestanden hätte. Nach allen diesen Formalitäten erlaubte man ihm endlich, sich in das Zwischendeck zu begeben. Es gab getrennte Abteilungen für Männer, Frauen und Ehepaare. Wladek ging rasch in die Männerabteilung und stellte fest, daß die Polen eine große Anzahl von Kabinen mit je vier Stockbetten belegt hatten. Auf jedem Bett lagen eine dünne Strohmatratze und eine dünne Decke, aber kein Kissen. Letzteres störte Wladek nicht, denn seit seiner Zeit in Rußland war er nie mehr imstande gewesen, auf einem Kissen zu schlafen.
Wladek wählte ein Bett unterhalb dem eines ungefähr gleich alten Jungen
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