Archer Jeffrey
wollte an den Tisch der Anklage treten und dem Staatsanwalt und seinem Team die Hand schütteln, blieb aber abrupt stehen, als er Rebecca Elliot sah, die immer noch im Zeugenstand saß und darauf wartete, dass sich der Gerichtssaal leerte. Sie hatte den Kopf gesenkt und wirkte verlassen und einsam.
»Ich weiß, es ist nur schwer vorstellbar«, sagte Fletcher. »Aber sie tut mir Leid.«
»Das sollte sie auch«, meinte Nat, »denn eines ist sicher: Ralph Elliot hätte seine eigene Frau umgebracht, wenn er geglaubt hätte, dadurch die Wahl gewinnen zu können.«
SECHSTES BUCH OFFENBARUNG49
AM TAG NACH DEM PROZESS saß Fletcher in seinem Büro im Senat und las die Tageszeitung.
»Was für ein undankbarer Haufen«, sagte er und reichte den
Hartford Courant an seine Tochter weiter.
»Du hättest ihn auf dem elektrischen Stuhl braten lassen
sollen«, meinte Lucy und sah sich die neuesten
Umfrageergebnisse an.
»Elegant und charmant formuliert, wie immer«, erwiderte
Fletcher. »Da frage ich mich, ob all das Geld, das ich für deine
Erziehung in Hotchkiss ausgegeben habe, gut angelegt war.
Ganz zu schweigen davon, was mich Vassar kosten wird.«
»Möglicherweise werde ich gar nicht in Vassar studieren, Dad.«
Lucy klang jetzt schon etwas leiser.
»Wolltest du darüber mit mir reden?«
»Ja, Dad. Vassar hat mir zwar einen Studienplatz angeboten,
aber den kann ich eventuell nicht annehmen.«
Fletcher war sich nicht immer sicher, wann Lucy sich einen
Scherz erlaubte und wann es ernst gemeint war, aber da sie ihn
gebeten hatte, ihn in seinem Büro sprechen zu dürfen und das
Annie gegenüber nicht zu erwähnen, ging er davon aus, dass es
ihr damit tatsächlich ernst war. »Wo liegt das Problem?« Er sah
sie über den Schreibtisch hinweg ruhig an.
Lucy erwiderte seinen Blick nicht. Sie senkte den Kopf und
sagte:
»Ich bin schwanger.«
Fletcher entgegnete darauf nicht sofort etwas, da er die Beichte
seiner Tochter erst verdauen musste. »Ist George der Vater?«,
wollte er schließlich wissen.
»Ja.«
»Wirst du ihn heiraten?«
Lucy dachte eine Weile über die Frage nach, dann sagte sie:
»Nein. Ich bete George zwar an, aber ich liebe ihn nicht.« »Aber du warst bereit, mit ihm Liebe zu machen.«
»Das ist nicht fair«, erklärte Lucy. »Es war Samstagnacht nach
der Präsidentschaftswahl und wir hatten wohl beide etwas zu
viel getrunken. Um ehrlich zu sein, es hat mich angekotzt, dass
mich alle in meiner Klasse als Präsidentin der Jungfrauen
verspotten. Und wenn ich meine Jungfräulichkeit schon
verlieren musste, dann fiel mir niemand Netteres ein als George,
vor allem, nachdem er zugegeben hat, ebenfalls noch Jungfrau
zu sein. Am Ende war ich mir gar nicht sicher, wer da wen
verführt hatte.«
»Was sagt George dazu? Schließlich ist es auch sein Kind und
er schien mir ein ziemlich ernsthafter, junger Mann zu sein,
insbesondere was seine Gefühle für dich angeht.«
»Er weiß es noch nicht.«
»Du hast es ihm nicht gesagt?«, fragte Fletcher ungläubig. »Nein.«
»Was ist mit deiner Mutter?«
»Nein«, wiederholte sie. »Der einzige Mensch, dem ich das
erzählt habe, bist du.« Diesmal sah sie ihrem Vater in die
Augen: »Seien wir ehrlich, Dad: Am Tag eurer Hochzeit war
Mom wahrscheinlich noch Jungfrau.«
»Ich auch«, meinte Fletcher, »aber du musst es ihr trotzdem
sagen, bevor es für alle Welt unübersehbar ist.«
»Nicht, wenn ich eine Abtreibung machen lasse.«
Fletcher schwieg eine Weile, dann sagte er: »Möchtest du das
wirklich?«
»Ja, Dad, aber erzähl Mom nichts davon. Sie würde es nicht
verstehen.«
»Ich bin nicht sicher, ob ich es verstehe«, meinte Fletcher. »Dad … – Du trittst für das Recht auf Selbstbestimmung aller
Frauen ein, nur nicht bei deiner Tochter?«
*
»Der hält sich nicht lange«, sagte Nat und starrte auf die Schlagzeile des Hartford Courant.
»Wer hält sich nicht?« Su Ling goss ihm noch eine Tasse Kaffee ein.
»Mein Vorsprung von sieben Punkten in den Umfragen. In wenigen Wochen werden sich die Wähler nicht einmal daran erinnern, wer von uns beiden auf der Anklagebank saß.«
»Vermutlich wird sie sich immer erinnern«, sagte Su Ling leise. Sie sah ihrem Ehemann über die Schulter auf das Foto von Rebecca Elliot, wie sie die Stufen des Gerichtes hinunterschritt. »Warum hat sie ihn nur geheiratet?«, sagte Su Ling fast zu sich selbst.
»Ich bin nur dankbar, dass ich Rebecca nicht geheiratet habe«, meinte Nat. »Seien wir ehrlich: Wenn Elliot meinen Aufsatz
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