Archer Jeffrey
nächsten Semester auf diesen Fall Bezug zu nehmen, wenn ich meine Vorlesung über die juristischen Unterschiede zwischen Totschlag und Mord halte. Die Vorlesung ist für die Studenten im dritten Jahr, darum sollte es Ihnen nicht allzu peinlich sein.«
»Hätte ich das Angebot des Staatsanwalts auf Totschlag annehmen und mich mit drei Jahren einverstanden erklären sollen?«
»Vermutlich werden wir die Antwort auf diese Frage in nicht allzu ferner Zukunft erfahren.«
»Habe ich viele Fehler gemacht?«, fragte Fletcher.
»Ein paar.« Der Professor schlug eine Seite in seinem Notizblock um.
»Was war der größte Fehler?«
»Ihr einziger eklatanter Fehler war meiner Meinung nach, dass Sie keinen Arzt gebeten haben, in allen Einzelheiten zu beschreiben, wie die Wundmale an Mrs Kirstens Armen und Beinen zugefügt worden sein müssen – etwas, das Ärzte stets immens genießen. Geschworene bewundern Ärzte. Sie gehen davon aus, dass es ehrliche Menschen sind, und meistenteils sind sie das auch. Aber wie bei jeder anderen Berufsgruppe neigen sie zu Übertreibungen, wenn man die richtigen Fragen stellt – und es sind schließlich die Anwälte, die die Fragen auswählen.« Fletcher fühlte sich schuldig, weil er einen so offensichtlichen Schachzug übersehen hatte, und wünschte, er hätte Annies Rat befolgt und den Professor früher um Rat gebeten.
»Keine Sorge, der Staat muss immer noch ein oder zwei Hürden überspringen. Der Richter wird uns ganz bestimmt einen Vollstreckungsaufschub gewähren.«
»Uns?«, wiederholte Fletcher.
»Ja«, bestätigte der Professor leise, »obwohl ich seit vielen Jahren nicht mehr vor Gericht stand und ein wenig eingerostet sein mag, hoffe ich, dass Sie mir erlauben, Ihnen bei dieser Gelegenheit zu assistieren.«
»Sie wollen als mein Mitanwalt fungieren?«, fragte Fletcher ungläubig.
»Ja, Davenport, das will ich«, erwiderte der Professor. »Sie haben mich nämlich von einer Sache überzeugt: Ihre Mandantin sollte nicht den Rest ihres Lebens im Gefängnis verbringen.«
»Die Geschworenen kehren zurück«, rief eine Stimme, die den Flur entlanghallte.
»Viel Glück, Davenport«, sagte der Professor. »Und bevor ich das Ergebnis höre, möchte ich noch anmerken, dass Ihre Verteidigung für einen Studenten im zweiten Jahr eine bemerkenswerte Tour de Force war.«
* Nat spürte, wie Su Ling immer nervöser wurde, je näher sie Cromwell kamen. »Bist du sicher, dass deine Mutter es gutheißt, wie ich mich angezogen habe?«, fragte sie und zog ihren Rock noch weiter herunter.
Nat sah bewundernd auf das schlichte, gelbe Kostüm, das Su Ling ausgewählt hatte und das nur andeutungsweise verriet, wie anmutig ihre Figur war. »Meine Mutter wird es gutheißen und mein Vater wird seinen Blick nicht von dir wenden können.«
Su Ling drückte sein Bein. »Wie wird dein Vater reagieren, wenn er herausfindet, dass ich Koreanerin bin?«
»Ich werde ihn an deinen irischen Vater erinnern«, beruhigte sie Nat. »Außerdem ist er sein ganzes Leben mit Zahlen umgegangen, darum wird er schon nach wenigen Minuten merken, wie klug du bist.«
»Noch können wir umkehren«, schlug Su Ling vor. »Wir können sie doch nächsten Sonntag besuchen.«
»Dazu ist es jetzt zu spät«, erwiderte Nat. »Und hast du nie darüber nachgedacht, wie nervös meine Eltern sein könnten? Schließlich habe ich ihnen erzählt, dass ich dich von Herzen liebe.«
»Mag sein, aber meine Mutter betet dich auch an.«
»Und meine wird dich anbeten.« Su Ling schwieg, bis Nat ihr mitteilte, dass sie sich nun den Außenbezirken von Cromwell näherten.
»Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.«
»Su Ling, es ist keine Prüfung, die du bestehen musst.«
»Doch, das ist es. Genau das ist es.«
»Das ist die Stadt, in der ich geboren wurde.« Nat versuchte, sie während der Fahrt durch die Hauptstraße von ihrer Nervosität abzulenken. »Als Kind hielt ich Cromwell für eine große Metropole. Aber mir kam ja auch Hartford wie der Nabel der Welt vor.«
»Wie lange brauchen wir noch?«, fragte Su Ling.
Nat sah aus dem Fenster. »Ich denke, etwa zehn Minuten. Aber erwarte nichts allzu Großartiges, wir wohnen in einem kleinen Haus.«
»Meine Mutter und ich wohnen über der Arbeit«, sagte Su Ling.
Nat lachte. »Das tat Harry Truman auch.«
»Und du siehst ja, was ihm das eingebracht hat«, erwiderte sie.
Nat bog mit dem Wagen auf die Cedar Avenue. »Wir sind das dritte Haus auf der rechten Seite.«
»Könnten wir nicht ein paar Mal um den
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