Archer Jeffrey
Jahre hindurch mit beträchtlichem Stolz verfolgt und bin fest überzeugt, daß ich es Dir überlassen kann, die richtige Entscheidung zu treffen.
Solltest Du jedoch irgendwelche Zweifel hegen, ob Du den Briefumschlag öffnen sollst oder nicht, so vernichte ihn, ohne lange zu überlegen. Solltest Du ihn aber öffnen und erfahren, daß er Dich nur in eine unehrenhafte Sache verwickeln könnte, so entledige Dich seiner und verschwende keinen weiteren Gedanken daran.
Möge Gott Dir beistehen! Dein Dich liebender Vater Gerald Scott
Adam las den Brief ein zweites Mal und war von dem Vertrauen gerührt, das der Vater ihm entgegengebracht hatte. Ihm stockte das Herz bei dem Gedanken daran, wie das Leben des Vaters durch das ewige Getuschel und die Sticheleien kleinkarierter, mißgünstiger Kollegen ruiniert worden war – derselben Männer, die auch seiner Karriere in der Armee ein verfrühtes Ende zu setzen vermocht hatten. Nach der dritten Lektüre faltete Adam den Brief ordentlich zusammen und steckte ihn wieder in den Umschlag.
Er hob das zweite Kuvert vom Tischchen. »Colonel Gerald Scott« hatte jemand in schwungvollen, inzwischen verblaßten Buchstaben quer darüber geschrieben.
Adam zog einen Kamm aus seiner Brusttasche, schob ihn in eine Ecke des Umschlags und schlitzte das Kuvert behutsam auf. Er zögerte einen Augenblick, bevor er zwei gänzlich vergilbte Blätter herausnahm. Das eine schien eine Art Dokument zu sein, das andere ein Brief mit dem Namen des Reichsmarschalls Hermann Göring unter dem Wappen des Dritten Reiches. Adams Hände begannen schon beim Lesen der ersten Zeilen zu zittern.
Sehr geehrter Herr Oberst Scott!
Der Brief war auf deutsch geschrieben.
3
Als die schwarze Tschaika-Limousine vom Spasskaja Baschnja kommend auf den Roten Platz fuhr, standen zwei KremlWachtposten in Khakiuniform stramm und präsentierten das Gewehr. Ein schrilles Pfeifen ertönte; es sicherte Juri Efimowitsch Zaborski auf der Rückfahrt zum DscherschinskijPlatz freie Fahrt.
Mit einem kräftigen Antippen der Krempe seines Filzhuts erwiderte Zaborski mechanisch den Gruß; in seinen Gedanken war er ganz woanders. Während der rumpeligen Fahrt über das Kopfsteinpflaster warf er nicht einen Blick auf die lange Menschenschlange, die sich vom Lenin-Mausoleum bis an den Rand des Roten Platzes erstreckte. Er hatte eine erste Entscheidung zu treffen, und sie war zweifelsohne auch die wichtigste: Welchem seiner führenden Mitarbeiter sollte er die Aufgabe anvertrauen, die Suche nach der Zaren-Ikone zu leiten? Sein Wagen überquerte den Roten Platz, fuhr an der grauen Fassade des GUM-Kaufhauses und die Ulica Kujbyschewa entlang, während er darüber nachdachte.
Daß überhaupt nur zwei Kandidaten in Frage kamen, hatte für den Vorsitzenden des Staatssicherheitsdienstes bereits wenige Augenblicke nach dem Abschied von seinem Vorgesetzten festgestanden. Zu schaffen machte ihm die Entscheidung, welchen von beiden er bevorzugen sollte, Waltschek oder Romanow? Unter normalen Umständen hätte er sich damit mindestens eine Woche Zeit gelassen, doch für Breschnew mußte die Sache bis spätestens am 20. Juni abgeschlossen sein, und da war keine Zeit zu verlieren. Er mußte seine Entscheidung treffen, bevor er sein Büro erreichte. Der Wagen fuhr unter einer weiteren grünen Ampel durch, ließ das Kultusministerium hinter sich zurück und bog in den Tscherkassij Bolschoi Perjulok mit seinen imposanten grauen Blocks ein. Er hielt sich auf der Innenspur, die eigens für hohe Parteifunktionäre reserviert war. In England, so hatte Zaborski gehört – und der Gedanke amüsierte ihn –, sei eine ähnliche Extraspur für Omnibusse in Planung.
Vor dem Hauptplatz des KGB blieb der Wagen ruckartig stehen. Es hatte Zaborski keineswegs geholfen, daß sie drei Kilometer in weniger als vier Minuten bewältigt hatten. Der Fahrer sprang aus dem Wagen, lief um das Auto herum und öffnete für seinen Chef den hinteren Wagenschlag, aber Zaborski rührte sich nicht. Der Mann, der sonst nie seine Meinung änderte, hatte sie während der Fahrt zum Dscherschinskij-Platz bereits zweimal geändert. Für die aufwendigen, mühevollen Kleinarbeiten konnte er sich auf zahllose Bürokraten und Akademiker stützen, aber er brauchte jemand mit einem besonderen Gespür, um sie zu leiten und ihm Bericht zu erstatten.
Sein Berufsinstinkt riet ihm zu Juri Waltschek, der sich seit Jahren als verläßlicher und vertrauenswürdiger Diener des Staates bewährt
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