Archer Jeffrey
hatte. Waltschek war außerdem einer der dienstältesten Abteilungschefs im KGB. Langsam, aber systematisch und zuverlässig, war er ein volles Jahrzehnt erfolgreich als Agent im Außendienst tätig gewesen, bevor er sich schließlich auf einen Schreibtischposten zurückgezogen hatte.
Alex Romanow, der erst vor kurzem Abteilungschef geworden war, hatte dagegen im Außendienst immer wieder Ansätze zu wahrer Brillanz gezeigt, sie aber oft genug durch mangelndes persönliches Urteilsvermögen zunichte gemacht. Mit seinen neunundzwanzig Jahren war er nicht nur der Jüngste, sondern fraglos auch der Ehrgeizigste unter den Favoriten des KGB-Vorsitzenden.
Zaborski stieg aus, ging über den Gehsteig zum Tor, das bereits für ihn geöffnet worden war und begab sich gemessenen Schrittes über den Marmorfußboden zu den Fahrstühlen. Am Lift warteten schweigend einige Männer und Frauen, die aber keine Anstalten machten, dem KGB-Vorsitzenden zu folgen, als er den kleinen Fahrkorb betrat, der ihn ruhig und langsam zu seinem Büro hinauffuhr. Wie immer mußte er auch diesmal an den unvergleichlich schnelleren amerikanischen Lift denken, den er kennengelernt hatte. »Die Amis können ihre Raketen starten, bevor Sie überhaupt Ihr Büro erreichen«, hatte ihn schon sein Vorgänger gewarnt. Als im obersten Stockwerk vor ihm das Gitter hochgezogen worden war, hatte er sich entschieden: Waltschek war der richtige Mann.
Ein Sekretär half ihm aus dem langen, schwarzen Mantel und nahm ihm den Hut ab. Zaborski trat entschlossen an seinen Schreibtisch. Die zwei angeforderten Akten lagen schon für ihn bereit. Er setzte sich und begann mit der Lektüre von Waltscheks Akte. Kaum hatte er sie abgeschlossen, herrschte er seinen Sekretär an, der diensteifrig neben ihm stand: »Holen Sie Romanow.«
Genosse Romanow lag flach auf dem Rücken, den linken Arm unter dem Kopf, den Trainer und Gegner über sich, der, die Rechte an Romanows Kehle, zu einem Kniehebel ansetzte. Der Trainer führte ihn makellos aus. Romanow stöhnte, als er dumpf auf dem Boden aufschlug.
Ein Aufseher eilte auf die beiden zu und beugte sich flüsternd zum Trainer, der daraufhin widerstrebend seinen Schüler losließ. Leicht benommen richtete sich Romanow auf, verneigte sich vor seinem Lehrer, zog ihm mit einer einzigen raschen Bewegung des linken Beins und des rechten Arms urplötzlich die Beine unter dem Leib weg, so daß der Mann im Nu flach auf dem Boden der Sporthalle lag, und sauste ins Büro zum Telefon. Der Hörer lag neben dem Apparat.
Das Mädchen, das den Anruf entgegengenommen hatte und ihm den Hörer reichte, ignorierte er. »Ich bin nach dem Duschen gleich bei ihm«, hörte sie ihn nur sagen. Das Mädchen fragte sich oft, wie Romanow wohl unter der Dusche aussähe. Wie alle Mädchen im Büro hatte sie ihn im Turnsaal immer wieder bewundert. Über ein Meter achtzig groß, mit langem, wehendem blonden Haar – er sah aus wie ein Filmstar aus dem Westen. Und dann diese Augen. »Durchdringend blau« hatte die Freundin geschwärmt, mit der sie den Schreibtisch teilte.
»Er hat eine Narbe auf seinem …«, hatte ihr dieselbe
Freundin einmal anvertraut.
»Woher weißt du das?« hatte sie wissen wollen, aber
daraufhin hatte die Freundin nur gekichert.
Der KGB-Vorsitzende hatte Romanows Personalakte inzwischen zum zweitenmal aufgeschlagen, um erneut sorgfältig alle Details zu prüfen. Nach der Lektüre verschiedener Eintragungen vertiefte er sich in die abschließende Zusammenfassung – ein Resümee, das Romanow sicher nie zu sehen bekäme, falls er nicht selbst einmal KGB-Vorsitzender würde.
Alexander Petrowitsch Romanow, geboren am 12. März 1937 in Leningrad. Vollmitglied der Partei seit 1958. Vater: Peter Nikolewitsch Romanow, diente 1942 an der Ostfront, lehnte es nach seiner Heimkehr im Jahre 1945 ab, der Kommunistischen Partei beizutreten. Aufgrund verschiedener Berichte über staatsfeindliche Aktivitäten, die von seinem Sohn geliefert wurden, zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Am 20. Oktober 1948 im Gefängnis gestorben.
Zaborski blickte auf und lächelte; ja, Alex Romanow war ein Kind des Staates.
Großvater: Nikolai Alexandrowitsch Romanow, Großkaufmann und einer der reichsten Grundbesitzer von Petrograd. Am 11. Mai 1918 erschossen bei dem Versuch, vor den Truppen der Roten Armee zu fliehen.
Zwischen dem aristokratischen Großvater und dem Vater, der nicht Parteigenosse werden wollte, hatte die Revolution stattgefunden.
Den Romanowschen
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