Archer Jeffrey
Ehrgeiz hatte Alex, wie er sich gern nennen ließ, freilich geerbt. Mit neun Jahren war er der Pionierorganisation der Partei beigetreten. Mit elf war er an einer Fachschule in Smolensk aufgenommen worden – sehr zum Mißvergnügen einiger unterer Parteifunktionäre, die der Meinung waren, derartige Privilegien sollten einzig und allein den Söhnen treuer Parteimitglieder vorbehalten bleiben. Im Unterricht zeichnete sich Romanow von Anfang an aus – zur Bestürzung des Direktors, der gehofft hatte, am Beispiel Romanows die Darwinschen Theorien über die natürliche Auslese widerlegen zu können. Mit vierzehn Jahren gehörte Alex bereits zur Parteielite und wurde Komsomol-Mitglied. Mit sechzehn gewann er die Lenin-Medaille für Sprachen und den Jugendsportpreis, und trotz aller Versuche des Direktors, die Leistungen des jungen Romanow herabzusetzen, war der Mehrheit des Schulausschusses klar, was in Romanow steckte; man sorgte dafür, daß er auch die Universität besuchen durfte. Als Student zeichnete er sich weiterhin vor allem in den Fremdsprachen aus. Er spezialisierte sich auf Englisch, Französisch und Deutsch. Natürliches Talent und harte Arbeit sicherten ihm erste Plätze in praktisch allen Fächern, die er belegte.
Zaborski griff nach dem Telefon. »Wo bleibt Romanow?« fragte er barsch.
»Er hat sein Morgentraining in der Sporthalle absolviert, Genosse Vorsitzender«, antwortete der Sekretär. »Aber er ging sich sofort umziehen, als er hörte, daß Sie ihn sprechen wollen.«
Der Vorsitzende hängte ein. Sein Blick kehrte zur Akte zurück. Daß man Romanow zu jeder Tageszeit in der Sporthalle antreffen konnte, war nicht verwunderlich: Die überragenden sportlichen Fähigkeiten dieses Mannes waren weit über den Geheimdienst hinaus bekannt.
In seinem ersten Studienjahr hatte Romanow mit Feuereifer sein sportliches Training fortgesetzt; er wäre sogar für die UdSSR bei den Olympischen Spielen angetreten, hätte der Trainer nicht quer über einen seiner Berichte mit dicken Lettern geschrieben:
»Dieser Student ist zu groß, um für olympische Wettkämpfe ernsthaft in Betracht gezogen zu werden.« Romanow hörte auf seinen Trainer, wechselte zu Judo über und wurde bereits zwei Jahre später, 1958, für die COMECON-Spiele in Budapest nominiert; nach weiteren zwei Jahren schätzten seine Konkurrenten sich glücklich, wenn sie ihm auf seinem unaufhaltsamen Weg ins Finale nicht in die Quere kamen und nicht gegen ihn antreten mußten. Nach seinem Sieg bei den sowjetischen Meisterschaftskämpfen in Moskau verpaßte ihm die westliche Presse uncharmanterweise den Beinamen »die Axt«. Die Männer, die bereits Pläne für seine weitere Zukunft schmiedeten, hielten es für klüger, ihn nicht für die Olympischen Spiele aufzustellen.
Als Romanow sein Universitätsstudium nach fünf Jahren mit Auszeichnung abgeschlossen hatte, trat er in den Diplomatischen Dienst ein.
Zaborski erreichte in der Akte nun die Stelle, die seine erste Begegnung mit dem selbstsicheren jungen Mann vermerkte. Der KGB konnte alljährlich die jungen Leute, die ihm außergewöhnlich begabt erschienen, vom Diplomatischen Dienst abwerben. Romanow drängte sich als Kandidat natürlich geradezu auf. Zaborski hatte eine Grundregel: Er warb niemanden an, der den KGB nicht für die absolute Elite hielt – aus unwilligen Kandidaten wurden nie gute Agenten; es war gelegentlich sogar vorgekommen, daß sie absprangen, um für die Gegenseite zu arbeiten. Bei Romanow war die Sache klar gewesen: Er hatte sich nie etwas anderes gewünscht, als KGBOffizier zu werden. Während der folgenden sechs Jahre absolvierte er seinen Turnus an den russischen Botschaften in Paris, London, Prag und Lagos. Als er nach Moskau zurückkehrte – er war ins Hauptquartier des KGB berufen worden –, wußte er sich als erfahrener Agent auf Botschaftsempfängen genauso sicher zu bewegen wie in der Sporthalle.
Zaborski las die Kommentare, die er während der letzten Jahre selbst hinzugefügt hatte – sie betrafen vor allem die Veränderungen, die im Laufe seiner Zugehörigkeit zum persönlichen Stab Zaborskis an Romanow sichtbar geworden waren. Nach seiner erfolgreichen Agententätigkeit hatte Romanow den Rang eines Majors erreicht. Die zwei roten Punkte neben seinem Namen markierten erfolgreiche Einsätze: Da war die Sache mit dem Geiger gewesen, der versucht hatte, über Prag in den Westen zu fliehen; und dann gab es da den Fall des Generals, der sich eingebildet hatte,
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