Archer Jeffrey
Gegend«, lautete Lawrences Antwort. »Neuchâtel an der deutsch-schweizerischen Grenze.«
»Gut! Dann sind wir also wieder am Ball«, sagte Sir Morris.
»Haben Sie die Interpol informiert?«
»Ja, Sir, und die deutsche, die französische und die Schweizer Polizei dazu.« Von allem, was er seit Beginn der Sitzung gesagt hatte, entsprach dies als einziges der Wahrheit.
Jeanne benötigte vierzig Minuten für ihre Vorbereitungen. Als Adam das Ergebnis sah, stieß er einen langgezogenen Pfiff aus.
»Kein Mensch wird mich auch nur einen Moment lang ansehen, selbst wenn ich vor aller Augen eine Bank ausräume«, erklärte er.
»Das also ’ast du vor, n ’est-ce pas? « sagte Jeanne grinsend. »Und weißt du auch ganz genau, was du zu tun hast?« »Aber ja!« Jeanne warf einen letzten Blick in den Spiegel.
»Wir ’aben geprobt wie bei der Truppenübung, schon viermal!«
»Gut«, antwortete Adam. »Es sieht ganz so aus, als könntest du dem Feind entgegentreten. Folglich beginnen wir mit dem, was beim Militär ›Vorrücken zur Feindberührung‹ genannt wird.«
Jeanne holte eine Plastiktüte aus einer Küchenschublade, auf der nur ein Wort – »Céline« – in großen Buchstaben gedruckt stand. Sie gab Adam die Tüte, der sie vierfach zusammenfaltete und in die Sakkotasche stopfte. Er ging hinaus ins Treppenhaus. Jeanne sperrte die Wohnungstür hinter ihm zu. Gemeinsam liefen sie die Treppe hinunter und auf die Straße.
Adam hielt ein Taxi an. »Zu den Tuilerien!« sagte Jeanne zum Fahrer. Dort bezahlte Adam und trat zu Jeanne auf den Gehsteig.
» Bonne chance, viel Glück!« sagte Adam. Er blieb an der Ecke stehen und wartete, bis sie einen Vorsprung von zwanzig Metern hatte. Er war zwar noch immer ein wenig unsicher auf den Beinen, doch gelang es ihm, ihr Tempo mitzuhalten. Die Sonne schien ihm heiß ins Gesicht. Adam beobachtete, wie Jeanne zwischen den üppigen Blumenbeeten hin und her spazierte. Sie trug einen rosa Lederrock und einen engen weißen Pullover. Fast jeder Mann, der an ihr vorbeikam, drehte sich um, um ihr nachzuschauen. Einige blieben wie festgewurzelt stehen und folgten ihr mit den Blicken, bis sie außer Sichtweite war.
Die Kommentare, die Jeanne und Adam zwanzig Meter dahinter vernehmen konnten, reichten von » Je payerais n’importe quoi - jeden Preis würde ich zahlen« – was sie mit Bedauern überging – bis zum einfachen » Putain, Nutte« ; ein Wort, das zu ignorieren Adam ihr befohlen hatte. Sie mußte ihre Rolle zu Ende spielen, für zweihundert Francs eben gelegentliche Beleidigungen einstecken.
Jeanne erreichte das andere Ende der Parkanlage und lief weiter. Sie hatte die Anweisung erhalten, sich unter keinen Umständen umzudrehen. Geh immer weiter! hatte Adam ihr eingeschärft. Er war noch immer zwanzig Meter hinter Jeanne, als sie den Quai des Tuileries erreichte. Jeanne wartete, bis die Ampel auf Grün schaltete, dann überquerte sie inmitten einer dichten Menschentraube die breite Straße.
Am Ende des Quais bog sie scharf nach rechts und sah den Louvre direkt vor sich. Sie hatte es vermieden, Adam zu gestehen, daß sie noch nie dort gewesen war.
Jeanne stieg die Treppe zur Eingangshalle hoch. Als sie die Drehtür erreichte, war Adam eben an der untersten Stufe angelangt. Sie setzte ihren Weg über die Marmortreppe fort; Adam folgte ihr unauffällig.
Jeanne kam am oberen Treppenabsatz an, ging an der Statue der geflügelten Nike von Samothrake vorbei und in den ersten der großen, überlaufenen Säle. Während sie so von Saal zu Saal schlenderte, stellte sie fest, daß sich in jedem wenigstens ein Aufseher aufhielt, meist in der Nähe eines Ausgangs. Eine Gruppe von Schulkindern betrachtete soeben Giovannis »Letztes Abendmahl«. Jeanne würdigte das Meisterwerk keines Blicks. Sie lief geradewegs weiter. Nachdem sie an sechs Aufsehern vorbeigekommen war, erreichte sie jenen Saal, den Adam ihr zuvor genau beschrieben hatte. Zielbewußt schritt sie in die Mitte des Raumes und blieb dort einige Sekunden lang stehen. Einige der männlichen Besucher begannen das Interesse an den Gemälden zu verlieren. Zufrieden mit der Wirkung, die sie erzielte, stürzte Jeanne dann plötzlich auf den Aufseher zu. Er zog seine Jacke zurecht und lächelte ihr entgegen.
» Dans quelle direction se trouve la peinture du seizieme siècle? – In welche Richtung muß ich gehen, wenn ich die Gemälde des 16. Jahrhunderts sehen will?« fragte Jeanne unschuldig. Der Aufseher deutete in die
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