Archer Jeffrey
kennengelernt zu haben.«
»Ich sehe schon, Mr. Gutenburg, daß ich Ihrem nachlassenden Gedächtnis noch ein bißchen nachhaltiger auf die Sprünge helfen muß. Bei der Abschiedsfeier, an der Sie nicht teilnahmen und von der aus Sie auch nicht telefonierten, hat meine Tochter glücklicher oder bedauerlicherweise – von welcher Seite man es eben betrachtet – mit ihrer Videokamera Aufnahmen gemacht, weil sie ihren Vater Weihnachten mit den Bändern überraschen wollte. Ich habe mir den Videofilm gerade noch einmal angeschaut, Mr. Gutenburg. Sie spielen zwar eine kleine Rolle, aber ich kann Ihnen versichern, daß Ihr Tete-à-tete mit Joan Bennett deutlich zu sehen ist. Auch unser jetziges Gespräch wird mitgeschnitten, und ich habe das Gefühl, daß die Sender Ihren Beitrag durchaus für wert erachten werden, ihn in den Nachrichten am Spätnachmittag auszustrahlen.«
Diesmal schwieg Gutenburg eine geraume Weile, ehe er schließlich sagte: »Vielleicht sollten wir uns treffen, Mrs. Fitzgerald.«
»Das halte ich für unnötig, Mr. Gutenburg. Ich weiß bereits genau, was ich von Ihnen will.«
»Und das wäre, Mrs. Fitzgerald?«
»Ich will wissen, wo mein Mann in diesem Augenblick ist und wann er wieder nach Hause kommt. Für diese beiden schlichten Antworten bekommen Sie das Videoband von mir.«
»Ich brauche ein wenig Bedenkzeit…«
»Ja, natürlich. Sagen wir, achtundvierzig Stunden? Und vergeuden Sie keine Zeit damit, Mr. Gutenburg, bei Ihrer Suche nach dem Videoband mein Haus auf den Kopf zu stellen. Sie werden es nicht finden. Nicht einmal ein so verschlagener Verstand wie der Ihre wurde das Band dort vermuten, wo es versteckt ist.«
»A-aber…«, stammelte Gutenburg.
»Ich sollte wohl noch etwas hinzufügen. Vielleicht überlegen Sie schon, sich meiner auf die gleiche Weise zu entledigen wie Joan Bennett. Sollte ich unter verdächtigen Umständen sterben, werden meine Anwälte umgehend Kopien des Bandes an alle drei großen Sender schicken, außerdem an Fox und CNN. Verschwinde ich dagegen spurlos von der Bildfläche, wird das Band eine Woche nach dem ersten Tag meines Verschwindens gesendet. Auf Wiederhören, Mr. Gutenburg.«
Maggie legte auf und sank schweißgebadet aufs Bett.
Gutenburg stürmte durch die Verbindungstür zwischen seinem Büro und dem der Direktorin.
Helen Dexter blickte von ihrem Schreibtisch auf, ohne ihr Erstaunen darüber verbergen zu können, daß ihr Stellvertreter nicht angeklopft hatte.
»Wir haben ein Problem«, sprudelte er hervor.
22
Der Todgeweihte aß kein Frühstück.
Das Küchenpersonal bemühte sich stets, bei der Henkersmahlzeit eines Gefangenen die Maden aus dem Brot zu entfernen. Diesmal hatten sie es versäumt. Der Häftling warf einen Blick auf das Essen und schob den Blechteller unter die Pritsche.
Wenige Minuten später betrat ein russisch-orthodoxer Priester die Zelle. Er erklärte, daß er zwar nicht die gleiche Religion habe wie der Verurteilte, daß er aber gern bereit sei, ihm das Letzte Sakrament zu erteilen.
Die Hostie war das einzig Eßbare, das der Gefangene an diesem Tag zu sich nehmen würde. Nachdem der Priester die kleine Zeremonie abgehalten hatte, knieten sie gemeinsam auf dem kalten Steinboden nieder. Nach einem kurzen Gebet segnete der Priester den Delinquenten und ließ ihn allein.
Er legte sich wieder auf die Pritsche und starrte zur Decke. Er bereute seine Entscheidung nicht eine Sekunde lang. Als er seine Gründe erklärte, hatte Boltschenkow sie kommentarlos akzeptiert, ja, beim Verlassen der Zelle hatte er sogar genickt. Es war ein für den korrupten Polizeichef beachtlicher Wesenszug, daß er die Charakterstärke eines anderen Menschen bewunderte.
Der Gefangene hatte dem sicheren Tod schon einmal ins Auge geblickt. Beim zweiten Mal verspürte er nicht mehr die gleiche Furcht. Damals hatte er an seine junge Frau gedacht und an das Kind, das er nie sehen würde. Jetzt konnte er nur an seine Eltern denken, die so kurz hintereinander gestorben waren. Er war froh, daß sie in dem Wissen starben, daß ihr Sohn den Krieg überlebt und eine gesicherte Zukunft hatte.
Für sie war seine Rückkehr aus Vietnam ein Triumph gewesen und eine große Freude, als er ihnen sagte, daß er seinem Land weiterhin dienen wolle. Er wäre vielleicht sogar CIA-Direktor geworden, hätte nicht ein Präsident, der in Schwierigkeiten steckte, aus politischen Gründen eine Frau zur Chefin ernannt – in der Hoffnung, es würde seiner nachlassenden Beliebtheit Auftrieb
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