Archer Jeffrey
immer noch zur Beobachtung im Addenbrooke Krankenhaus.
Ich stand neben Becky, als der Chor Fast Falls The Eventide sang. Meine Gedanken irrten ab, und ich versuchte, die Ereignisse der vergangenen drei Tage zu rekonstruieren und einen Sinn dahinter zu finden. Nachdem Daphne mir mitgeteilt hatte, daß David sich das Leben genommen hatte – wer immer sie dazu ausersehen hatte, es mir schonend beizubringen, mußte etwas von Mitgefühl verstehen –, fuhr ich sofort nach Cambridge und bat Daphne, Becky nichts zu sagen, ehe ich nicht herausgefunden hatte, was tatsächlich passiert war. Als ich zwei Stunden später im Trinity Great Court ankam, war Daniels Leiche bereits weggebracht und Cathy im Addenbrooke-Krankenhaus eingeliefert worden – sie befand sich, wie ich erfuhr, noch unter Schock, was keine Überraschung war. Der zuständige Kriminalinspektor hätte nicht taktvoller und zuvorkommender sein können. Später mußte ich den toten Daniel in der Leichenhalle identifizieren. Ich war dem lieben Gott dankbar, daß Becky ihren Sohn nicht in diesem eiskalten Raum zum letztenmal sehen mußte.
Lord, with me abide …
Ich versicherte dem Inspektor, daß ich keinen Grund kannte, weswegen Daniel keinen Ausweg mehr gesehen hätte – daß ich ihn im Gegenteil in seinem ganzen Leben nie glücklicher erlebt hatte. Der Inspektor zeigte mir den Abschiedsbrief, wenn man es überhaupt so nennen konnte: ein einfaches Blatt Papier mit nur fünf handgeschriebenen Zeilen.
»Selbstmörder schreiben gewöhnlich einen, wissen Sie?«
Ich wußte es nicht.
Ich las Daniels saubere Schrift:
Jetzt, da es unmöglich ist, daß Cathy und ich heiraten können, will ich nicht mehr weiterleben. Um Gottes willen, kümmert Euch um das Kind.
Daniel
Ich muß diese Worte bestimmt hundertmal, wenn nicht öfter, gelesen haben, und trotzdem verstand ich sie nicht.
Eine Woche später bestätigte der Krankenhausarzt in seinem Bericht an den Untersuchungsbeamten, daß Cathy weder schwanger war noch eine Fehlgeburt gehabt hatte. Immer wieder las ich die Worte. War etwas in diesen Zeilen verborgen, das mir entging, oder würde ich Daniels letzte Worte nie ganz verstehen können?
When other helpers fail…
Ein Gerichtssachverständiger fand später noch Briefpapier im Kamin, aber es war völlig verkohlt und den zerfallenden Stückchen konnte nichts mehr entnommen werden. Dann zeigte man mir einen Umschlag, in dem nach Meinung der Polizei der Brief geschickt worden war, und fragte mich, ob ich die Schrift kannte. Ich studierte die steife, dünne Schrift in violetter Tinte. Nur Dr. Daniel Trumper stand auf dem Umschlag.
Nein, log ich. Der Inspektor sagte mir, daß der Brief an dem Nachmittag von einem schnurrbärtigen Mann in Tweedjackett abgegeben worden war. Das war alles, woran der Student sich erinnern konnte, dem der Mann aufgefallen war, und daß der Schnurrbärtige sich offenbar ausgekannt hatte.
Ich fragte mich, was ihm dieses teuflische alte Weib geschrieben haben mochte, daß er glaubte, sich das Leben nehmen zu müssen. Ich war überzeugt, die Entdeckung allein, daß Guy Trentham sein Vater war, hätte ihn bestimmt nicht dazu getrieben – schon gar nicht, da er und Mrs. Trentham sich schon vor einigen Jahren getroffen hatten und zu irgendeiner Einigung gekommen waren.
Die Polixei fand noch einen Brief auf Daniels Schreibtisch, und zwar vom Rektor des King’s College in London, der ihm formell einen Lehrstuhl für Mathematik anbot.
And comforts flee …
Nachdem ich die Leichenhalle verlassen hatte, fuhr ich zum Addenbrooke-Krankenhaus, wo man mir erlaubte, ein paar Minuten an Cathys Bett zu verweilen.
Obwohl sie die Augen offen hatte, sah ich, daß sie mich nicht erkannte. Eine ganze Stunde starrte sie leeren Blicks an die Decke, während ich dort stand. Als ich einsah, daß ich momentan nichts für sie tun konnte, verließ ich leise das Krankenzimmer. Der behandelnde Psychiater, Dr. Stephen Atkins, kam plötzlich aus seinem Büro und fragte, ob ich ein paar Minuten entbehren könne.
Der gepflegte kleine Mann in seinem maßgeschneiderten Anzug und der riesigen Fliege erklärte mir, daß Cathy unter psychogener Amnesie litt und daß es noch etwas dauern würde, bis er abschätzen konnte, wie rasch sie sich davon erholen mochte. Ich dankte ihm und bat ihn, mich auf dem laufenden zu halten. Dann fuhr ich nach London zurück.
Help of the helpless, O abide with me …
Daphne wartete in meinem Büro auf mich und sagte keinen Ton über die
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