Archer Jeffrey
Gemahlin des Bischofs von
Worcester in einem Städtchen namens Whitechapel besucht
habe, aber ich muß gestehen, daß ich nie eine Veranlassung
hatte, mich ins Londoner East End zu begeben. Ich nehme an.
es gibt dort keinen Bischof.« Sie legte Gabel und Messer
nieder. »Mein Vater jedoch«, fuhr sie fort. »Sir Raymond
Hardcastle – Sie haben vielleicht von ihm gehört, Miss
Salmon…«
»Leider nicht«, entgegnete Becky ehrlich.
Wieder verzog Mrs. Trentham abfällig das Gesicht, was
aber ihren Redeschwall nicht beeinträchtigte, »… er wurde für
seine Verdienste unter König George V. zum Baronet erhoben
…«
»Und was waren diese Verdienste?« erkundigte sich Becky
ohne Hintergedanken.
Diese Frage brachte Mrs. Trentham kurz ins Stocken. »Er
spielte eine kleine Rolle in den Bemühungen Seiner Majestät,
nicht von den Deutschen überrannt zu werden.«
»Er war ein Waffenfabrikant«, murmelte Major Trentham
kaum verständlich.
Mrs. Trentham ignorierte seine Bemerkung.
»Hatten Sie in diesem Jahr Ihr Debüt, Miss Salmon?« fragte
sie statt dessen.
»Nein«, antwortete Becky. »Aber ich habe mich dieses Jahr
an der Universität eingeschrieben.«
»Ich halte von so etwas gar nichts. Damen sollten nicht über
die drei großen Ks hinaus ausgebildet werden, aber natürlich
auch lernen, Dienstboten zu führen und sich beim Kricket zu
behaupten.«
»Aber wenn man keine Dienstboten hat …«, begann Becky
und hätte weitergesprochen, wenn Mrs. Trentham nicht mit
einer Silberglocke, die neben ihr stand, geklingelt hätte. Zu
dem Butler, der sofort herbeieilte, sagte sie: »Bitte lassen Sie
den Tisch abräumen, Gibson. Wir werden den Kaffee im
kleinen Salon zu uns nehmen.«
Der Butler wirkte ein wenig überrascht, als Mrs. Trentham
sich erhob und die anderen über einen langen Korridor in das
vertraute Zimmer zurückbrachte, wo das Feuer jetzt allerdings
fast niedergebrannt war.
»Darf ich Ihnen einen Port oder einen Cognac einschenken,
Miss Salmon?« fragte Major Trentham, als Gibson mit dem
Kaffee kam.
»Nein, danke«, lehnte Becky ab.
»Bitte entschuldigt mich«, sagte Mrs. Trentham und erhob
sich aus dem Sessel, auf dem sie eben erst Platz genommen
hatte. »Ich habe leider etwas Kopfschmerzen und werde mich
in mein Zimmer zurückziehen.«
»Ja, natürlich, meine Liebe«, meinte der Major ohne großes
Mitgefühl.
Kaum hatte seine Mutter den Salon verlassen, setzte Guy
sich neben Becky und nahm ihre Hand. »Mutter wird morgen
netter sein, wenn ihre Migräne vorbei ist, du wirst schon
sehen.«
»Das bezweifle ich«, flüsterte Becky. Sie wandte sich Major
Trentham zu. »Würden Sie auch mich bitte entschuldigen? Es
war ein langer Tag, und sicher haben Sie und Ihr Sohn sich viel
zu erzählen.«
Beide Männer erhoben sich, als Becky zur Tür ging und die
Treppe zu ihrem Zimmer hinaufstieg. Sie zog sich rasch aus,
wusch sich in einer Schüssel mit eiskaltem Wasser und huschte
durch den ungeheizten Raum, um sich in die Decken ihres
kalten Bettes zu kuscheln. Sie fand, daß Guy sich keine große
Mühe gemacht hatte, ihr am Abend beizustehen. Er war in
London immer viel aufmerksamer gewesen.
Sie lag im Halbschlaf, als sie hörte, wie die Türklinke
heruntergedrückt wurde. Sie blinzelte verschlafen und blickte
zur Tür, die sich jetzt langsam öffnete. Aber sie sah nur die
Umrisse einer Männergestalt, die ins Zimmer huschte. Dann
schloß sich die Tür wieder.
»Wer ist da?« fragte Becky.
»Ich bin es nur«, antwortete Guy. »Ich dachte mir, ich
schaue kurz rein und sage dir gute Nacht.«
Becky zog sich ihre Decke bis zum Hals. »Gute Nacht«,
sagte sie knapp.
»Das war aber nicht sehr freundlich.« Guy hatte das Zimmer
durchquert und setzte sich auf die Bettkante. »Ich möchte mich
nur vergewissern, daß alles in Ordnung ist. Das war kein sehr
schöner Abend für dich.«
»Danke, es ist alles in Ordnung«, versicherte ihm Becky
kühl. Als er sich über sie beugte, um sie zu küssen, wich sie
aus, so daß er nur ihr linkes Ohr streifte.
»Vielleicht ist es nicht die richtige Zeit.«
»Und der richtige Ort«, fügte Becky hinzu und wich so weit
zur Seite, daß sie fast aus dem Bett gefallen wäre.
»Bekomme ich denn keinen Gutenachtkuß?« Guy ließ sich
nicht abschütteln.
Becky gestattete ihm, sie in die Arme zu nehmen und auf
die Lippen zu küssen, aber er hielt sie viel länger fest als
erwartet, und sie mußte ihn schließlich wegstoßen.
»Gute Nacht, Guy«, sagte sie mit fester Stimme.
Zuerst rührte Guy sich nicht,
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