Archer Jeffrey
gegenüber Becky und dem
Kind hat.«
»Aber jetzt, da sie glücklich verheiratet ist, wäre das Charlie
gegenüber nicht fair!« gab Daphne zu bedenken.
Der Colonel senkte die Stimme. »Haben Sie Daniel in
letzter Zeit gesehen?«
»Vor ein paar Monaten, wieso?«
»Dann sehen Sie ihn sich am besten noch mal an, denn es
gibt nicht viele Trumpers oder Salmons, die blondes Haar, eine
klassische Nase und tiefblaue Augen haben. Ich fürchte, die
offenkundigeren Ebenbilder finden sich in Ashurst in
Berkshire. Jedenfalls werden Becky und Charlie dem Kind die
Wahrheit nicht auf die Dauer vorenthalten können, wenn sie
nicht Schwierigkeiten für später schaffen wollen. Ich kann
Ihnen nur raten, schicken Sie den Brief so ab.« Er tippte mit
den Fingern auf das Beistelltischchen.
Als Daphne wieder zu Haus am Lowndes Square war, begab
sie sich direkt in ihr Zimmer. Sie setzte sich an den Sekretär
und schrieb nach kurzem Zögern den Entwurf des Colonels ins
reine.
Nachdem sie mit ihrer eigenen Version fertig war, las
Daphne noch einmal den Absatz des Entwurfs, den sie
ausgelassen hatte, und hoffte, daß die düstere Prophezeiung des
Colonels sich nicht als richtig erweisen würde. Dann zerriß sie
den Entwurf und klingelte Wentworth.
»Geben Sie diesen Brief für mich auf«, bat sie.
Bei der Hektik der Hochzeitsvorbereitungen vergaß Daphne das Problem Guy Trentham, kaum daß sie Wentworth den Brief mitgegeben hatte. Die Brautjungfern mußten ausgewählt werden, ohne die Hälfte der Verwandtschaft zu kränken; ihre Schneiderin bestand auf endlosen Anproben, die immer länger dauerten als angenommen; die Sitzordnung mußte noch einmal sorgfältig überprüft werden, um sicherzugehen, daß die Verwandten, die seit Jahren nicht mehr miteinander redeten, auch wirklich nicht am gleichen Tisch saßen – und natürlich auch nicht in derselben Reihe in der Kirche. Und schließlich mußte sie sich auch noch taktvoll gegen ihre zukünftige Schwiegermutter, die Marquise, behaupten, die, da sie bereits drei eigene Töchter verheiratet hatte, bei fast allem mit drei verschiedenen Meinungen aufwartete. So fühlte sich Daphne
regelrecht erschöpft.
Eine Woche vor der großen Feier schlug Daphne Percy vor,
einfach zum nächsten Standesamt zu gehen und die ganze
Sache so rasch wie möglich hinter sich zu bringen – am besten
ohne irgend jemandem ein Sterbenswörtchen zu sagen. »Was immer du meinst, altes Mädchen«, sagte Percy, der es
längst aufgegeben hatte, irgend jemandem zuzuhören, wenn es
um das Thema Hochzeit ging.
Am 16. Juli 1921 wachte Daphne um fünf Uhr dreiundvierzig erschöpft auf, doch als sie um dreizehn Uhr fünfundvierzig auf den Lowndes Square in den Sonnenschein hinaustrat, war sie munter und bester Laune und freute sich auf den großen Augenblick.
Ihr Vater half ihr das Trittbrett in die offene Kalesche hinauf, in der schon ihre Großmutter und Mutter am Hochzeitstag gefahren waren. Eine Schar von Dienstboten und Gratulanten ließen die Braut hochleben, als sie ihre Fahrt nach Westminster antrat, Passanten winkten vom Bürgersteig, Offiziere salutierten, Burschen bliesen ihr Küsse zu, und Möchtegernbräute seufzten, als sie vorüberfuhr.
Wenige Minuten nachdem Big Ben zwei Uhr geschlagen hatte, betrat Daphne an ihres Vaters Arm die Kirche durch den Nordeingang und schritt zu den Klängen von Mendelssohns Hochzeitsmarsch feierlich den Mittelgang entlang. Ehe sie zu Percy trat, hielt sie nur kurz an, um einen Knicks vor dem König und der Königin zu machen, die allein auf ihren Privatbänken neben dem Altar saßen. Nach diesen langen Monaten der Vorbereitungen, schien die Trauung in Minuten vorüberzusein. Als von der Orgel die Schlußakkorde erklangen und die frisch Vermählten in einen Nebenraum gebeten wurden, um sich ins Kirchenbuch einzutragen, hätte Daphne am liebsten die ganze Zeremonie noch einmal mitgemacht.
Doch obwohl sie zu Hause am Lowndes Square heimlich die Unterschrift geübt hatte, zögerte sie, ehe sie mit »Daphne Wiltshire« unterzeichnete.
Das Brautpaar verließ die Kirche unter dröhnender Glockenbegleitung und schritt im strahlenden Sonnenschein durch die Straßen von Westminster. Als sie in dem riesigen Pavillon ankamen, der in der Anlage am Vincent Square aufgestellt worden war, machten sie sich daran, ihre Gäste zu begrüßen.
Dadurch, daß sie mit jedem zumindest ein paar verbindliche Worte wechseln wollte, kam Daphne fast nicht dazu, ein Stück ihrer eigenen Hochzeitstorte zu kosten.
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