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Argemí, Raúl

Argemí, Raúl

Titel: Argemí, Raúl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chamäleon Cacho
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Bundespolizist fand, dass meine Anwesenheit störte, würde er Himmel und Hölle in Bewegung setzen, damit man mich verlegte. Das durfte ich auf keinen Fall zulassen.
    Vor allem weil mir das Gespräch zwei Dinge klargemacht hatte, und wie so oft handelte es sich um etwas Gutes und etwas Schlechtes. Das Gute: Sie wussten nicht, dass die verabreichte Medizin beim Chamäleon wie ein Wahrheitsserum wirkte, was mir einen Vorsprung verschaffte. Das Schlechte: Der Arzt wusste genauso wenig über meine Lähmung wie ich. Es gab dafür alle möglichen Gründe. Es konnte sogar einfach ein Spleen von mir sein.
    Ich verfiel eine Weile in einen Dämmerzustand. Dann sammelte ich alle mir zur Verfügung stehenden Kräfte und wandte mich wieder meinem Bettnachbarn zu …
    Pater Carlos bemerkte, dass Cacho gebannt auf die Hände des Mädchens starrte, das den Tee servierte, und er wusste, dass er ihn bremsen musste, weil sonst alles den Bach runterginge. Im Bruchteil einer Sekunde hatte er wie bei einer Explosion gesehen, was Cacho mit ihr anstellen könnte, und sein Atem hatte sich beschleunigt. Es gab keinen anderen Weg, als dieses Ungeheuer in seine Schranken zu weisen.
    Die wollüstigen Bilder, die ihn befallen hatten, zerstoben angesichts dieser Gewissheit, und er kehrte zurück in die Wirklichkeit, an den Teetisch im dunklen Herzen des Hauses.
    Der Tee war zu dünn, und die Vanillestangen wurden zwischen den Zähnen krachend zu Staub zermahlen, aber das Lavendelparfum erfüllte die Düsternis mit einem alten Duft.
    Der Raum war groß und mit dunklen Möbeln vollgestopft, auf denen nie jemand saß.
    Diese toten Räume wurden nur selten geöffnet, und einer von ihnen war für die Besuche von Pater Carlos bestimmt. Dann deckte das schweigsame Mädchen einen Rattantisch mit allem, was zu einer Teezeremonie gehörte, wie Doña Rosa sie zu vollführen pflegte.
    Carlos lächelte der Alten über seine Tasse hinweg zu, und sie erwiderte das Lächeln, als wüsste sie, woran er dachte. Die Frau hatte eine Decke der Mapuche, die er ihr als Geschenk mitgebracht hatte, über die Beine gelegt.
    In der Ecke, in der sie beinahe den ganzen Tag dösend oder Spitzen häkelnd saß, hatte sie alles um sich versammelt, was ihr im Leben etwas bedeutete. Ein paar Fotos, aus denen leblose Augen blickten, ein bronzenes Kruzifix und ein vergilbtes Diplom, der erste Preis für ein paar Blumengebinde.
    Es war seltsam. Dieses Diplom hatte bis zum Tod ihres Mannes und dem Fortgang ihrer Kinder in einer Truhe gelegen und sich erst dann einen Platz an der Wand erobert, als sie ganz allein war.
    Man musste sich schon anstrengen, um unter der runzligen Haut und dem dünnen Haar, das ihren Kopf bedeckte, die Schönheit eines Mädchens zu entdecken, das einen leidenschaftlichen Dichter zu seinen Versen inspiriert und in den Selbstmord getrieben hatte.
    Es war irgendwie rührend, dass die Frau dieses Stück Pappe, das wie Pergament aussehen sollte, über den langen Zeitraum zahlloser Geburten, Diners, Taufen und Todesfälle aufbewahrt hatte, bis sie sich endlich frei fühlte. (Eine Hommage an jenen Romantiker, der ihr mit diesem Papier seine Seele zu Füßen gelegt und sich am Tag vor ihrer Hochzeit in einem Fluss ertränkt hatte.)
    »Es ist windig geworden, Pater. Ich habe mich nie an den Wind gewöhnen können«, sagte die Alte mit ihrem Vogelstimmchen. Ein Windzug drang durch die geschlossenen Fensterläden und bewegte die schweren Vorhänge.
    »Niemand kann sich an diesen Wind gewöhnen, Rosa. Das gehört wohl zu den religiösen Tugenden, allerdings ist sie den Söhnen des Windes vorbehalten, das heißt unseren Landsleuten aus der Wüste«, erklärte Carlos mit dem Ausdruck eines Prälaten.
    »Die Söhne des Windes … werden Wind ernten«, sagte die Alte und lachte über ihren eigenen Scherz.
    »Sagen Sie das nicht, Rosa. Sie versündigen sich an der Heiligen Schrift.«
    »Ja, Pater, Sie haben recht. Ich bin leichtfertig, aber ich meine es nicht böse. Die Ärmsten, in was für einer Einsamkeit sie leben«, die Alte machte eine vage Armbewegung, als wolle sie ein Gespenst verscheuchen. »Zumindest müssen sie nicht die vielen Autos ertragen, die an meiner Tür vorbeifahren.«
    »Wohl wahr …«
    Carlos hatte genug davon, sie über den Verkehr schimpfen zu hören, den die modernen Zeiten bis vor ihr Fenster gebracht hatten. Als sie wieder davon anfing, hörte er einfach nicht mehr zu und achtete nur noch auf die eigenwillige Art der Alten, den Mund zu schließen,

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