Argus #5
Heutzutage war es noch leichter, Tote und Fahnenflüchtige auferstehen zu lassen, dank des Internets und dank ein paar kleiner hässlicher Gefallen, die er Leuten mit Internetzugang tun würde. Also, wie clever oder gründlich Chloe auch versuchte, ihre Spuren zu verwischen und neu anzufangen, es würde ihr nicht gelingen. Selbst wenn sie sich C. J. oder Christina nannte oder sonst einen neuen Decknamen annahm – das waren nur Namen. Menschen hinterließen immer ein Stück von sich; das Leben ließ sich nicht vollständig löschen. Ein Mensch wie Chloe konnte die, die sie liebte, nicht einfach verlassen.
Und so lief es gleich davon, um zu seiner Großmutter zu gehen, die in einem anderen Dorf wohnte …
Er betrachtete ihr langes, fließendes Haar, das in weichen Locken über ihre Schultern fiel. Die hohen Wangenknochen, den schönen Mund. Hoffentlich sah sie inzwischen wieder mehr wie die alte Chloe aus. Er stellte sich ihren schlanken, wohlgeformten Körper in engen Sportklamotten vor, ihre straffen Brüste, die ohne BH unter einem engen weißen T-Shirt hüpften, als sie in ihrer alten Küche stand und Musical-Melodien vor sich hin summte – wie in der guten alten Zeit. Und hohe Schuhe. Die hübschen Stöckelschuhe, die sie so gerne trug. Stilettos und Pumps und Riemchensandalen. Schwarzer Lack oder feuerrotes Leder. Vielleicht würde er ihr ein Geschenk mitbringen und ihr ein Paar kaufen, das sie für ihn tragen sollte. Und ihr Haar – es sollte lang und honigblond und gewellt sein, so wie er sich daran erinnerte. Nach Kräutershampoo und Haarspray duften. Es wäre lang genug, dass er sich mit den Fingern darin verlieren konnte. Lang genug, um es ihr um den Hals zu schnüren und den Knoten fest zuzuziehen …
Seine Zunge glitt über ihren wartenden Mund, den sie auf seiner Zeichnung geöffnet hatte. Mit den Fingern streichelte er ihre nackten Brüste. Die andere Hand schob er in seine Gefängnishose und ließ sie nach unten wandern, um Druck abzulassen. Er konnte es kaum abwarten, bis sie es für ihn tat.
Wie in der guten alten Zeit.
Als er fertig war, wischte er sich den Schweiß von der Oberlippe und faltete sein Meisterwerk zu einem ordentlichen Quadrat zusammen, das er wieder in der Matratze versteckte. Dies war der einzige irdische Besitz, der es wert war, mitgenommen zu werden, wenn die Wärter kamen, um ihm zu sagen, es sei Zeit, heim nach Miami zu fahren.
Karma war wie ein Bumerang. Das hatte er der hübschen rothaarigen Staatsanwältin gesagt. Manchmal dauerte es eine Weile. Manchmal dauerte es ein ganzes Leben, aber am Ende kam es immer zurück.
Er kaute die Ecke eines Fingernagels ab und lächelte in sich hinein.
Und diesmal würde die Rache ihm gehören.
37
S ie konnte nicht aufwachen.
Ihr Mund schmeckte nach … Kreide. Ihre Zunge wurde nach unten gedrückt und schmerzte. Da war etwas in ihrem Mund, und sie konnte nicht reden. Sie versuchte, die Hände zu bewegen, das Ding aus dem Mund zu nehmen, das sie daran hinderte, nach Hilfe zu rufen, aber ihre Hände bewegten sich nicht. Sie waren gefesselt.
Es war nur ein Traum, redete sie sich ein, ein Albtraum, in dem ihre Hände an die Bettpfosten gebunden waren. Ein schwaches, gelbes Licht huschte durchs Zimmer. Über die Decke glitten Schatten wie Gespenster.
Ihre Füße. Sie konnte auch die Füße nicht bewegen. Sie versuchte zu treten, aber nur ihr Körper wand sich im Bett. Ihre Beine waren gespreizt, die Füße waren ebenfalls an die Bettpfosten gefesselt.
Ihr Hirn war so vernebelt, die Gedanken träge und durcheinander. Es war ein Albtraum. Es konnte gar nicht anders sein. Aber wie sollte sie sich aufwecken, wie kam sie hier raus? Sie konnte nicht sprechen, nicht die Arme bewegen oder treten …
Lieber Gott, wie konnte es ihr bloß gelingen, aufzuwachen und anzuhalten, was hier geschah?
Wieder bewegten sich die Schatten. Jetzt war er neben ihr. Sie hörte ihn atmen, heftig und schnell. Sie spürte, wie seine Blicke über ihren Körper glitten. O Gott, sie war nackt. Sie war gefesselt und nackt, ihr Pyjama aufgeschlitzt. Sie roch seinen Kaffeeatem und den Gestank von alter Milch. Der ganze Raum war erfüllt davon, zusammen mit dem süßlichen, widerlichen Geruch nach Kokos. Sie wollte sich übergeben, aber es steckte etwas in ihrem Mund, und sie konnte sich nicht bewegen.
Panik stieg in ihr auf, und sie begann zu zittern und zu weinen. Sie musste aufwachen. Sie musste raus aus diesem Albtraum. Sie drehte den Kopf, und da war
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