Argus #5
als Segen, dass ihr Anwaltsfreund sie nach der Vergewaltigung sitzenließ, gerade als sie ihn am meisten brauchte. Als es darauf ankam, zeigte er sein wahres Ich.
So paradox es damals schien, sie beschloss, der einzige Weg, ihr Leben wieder in den Griff zu kriegen, war, in die Robe zu schlüpfen und vor Gericht zu gehen, um den Psychopathen in die Augen zu sehen, während sie alles in ihrer Macht Stehende tat, um sie hinter Gitter zu bringen. Das war ihre hauseigene Konfrontationstherapie. Und als Bonus musste sie nicht zahlen, sondern wurde dafür bezahlt.
Dann kam Cupido – ein Fall, der alles andere als therapeutisch war. C. J. wurde auf der Jagd nach Miamis blutigstem Serienmörder der Taskforce zugeteilt, besuchte Tatorte und Leichenhallen und sah mit eigenen Augen, was der sadistische Dreckskerl seinen Opfern antat. Als die Nachricht von William Rupert Bantlings Verhaftung kam, hatte ihr der Name nicht das Geringste bedeutet. Sie hatte keine Ahnung gehabt, dass Bantling der Mann war, der sie vergewaltigt hatte – bis zu jenem ersten Tag vor Gericht, als sie seine Stimme gehört und die Narbe an seiner Hand gesehen hatte. An diesem Punkt hätte sie sich eigentlich wegen Befangenheit zurückziehen, einen anderen Staatsanwalt übernehmen lassen müssen, doch bei einem so komplexen Fall hätte ein solches Manöver für die Anklage einen riesigen Rückschritt bedeutet. Sie kannte den Fall in- und auswendig; sie war die beste Staatsanwältin der Behörde; und sie schuldete es den elf Frauen, die er abgeschlachtet hatte – und den Frauen, die in Gefahr wären, wenn man ihn nicht aufhielt. Sie würde dafür sorgen, dass er hinter Gitter kam. Es ging nicht um Rache für das, was er ihr angetan hatte, redete sie sich ein. Es ging um Gerechtigkeit. Ihre Vergewaltigung war verjährt; dafür konnte er nicht mehr belangt werden. Doch sie würde es auf sich nehmen, vor Gericht seine Stimme hören und sein Gesicht sehen zu müssen, solange der Prozess dauerte, wenn sie damit seine anderen Opfer rächen konnte. Um der anderen Opfer willen wollte sie ihn auf dem elektrischen Stuhl schmoren sehen. Und um ihrer selbst willen wollte sie diejenige sein, die ihn dorthin schickte.
Doch der Fall bekam Risse, noch bevor sie richtig in Fahrt war. Unter C. J.s Befragung gab Officer Chavez zu, dass er Bantlings Wagen auf einen anonymen Tipp hin angehalten und das Fahrzeug durchsucht hatte. Damit war die Durchsuchung in den Augen des Gesetzes illegal, und alle Beweisstücke, die bei der Durchsuchung gefunden wurden, waren unzulässig – auch die Leiche im Kofferraum. Was Anna Prado nicht weniger tot machte. Oder den Mann weniger schuldig. Um nicht zuzulassen, dass ein Serienmörder ungestraft davonkam, hatten C. J. und die drei Polizisten, die an der Durchsuchung beteiligt gewesen waren, sich auf eine alternative Version der Ereignisse geeinigt, die zu Bantlings Fahrzeugkontrolle geführt hatten. Es habe keinen anonymen Anrufer gegeben. Die Officers Victor Chavez, Sonny Lindeman und Lou Ribero erklärten sich bereit, ihre persönliche Integrität dem Gemeinwohl zu opfern. Ein finsterer Bund wurde geschlossen. Sie machten einen Pakt mit dem Teufel – und von da an gab es kein Zurück.
Erst als Bill Bantling verurteilt worden war, fand C. J. heraus, dass er die Wahrheit gesagt hatte und reingelegt worden war. Cupido war noch immer auf freiem Fuß. Und sie sollte sein nächstes Opfer sein.
Dominick sah erschöpft aus, als hätte er die ganze Nacht an ihrem Bett gewacht. Er brauchte einen Moment, bis er merkte, dass sie wach war und ihn ansah. «Eine Weile habe ich gedacht, ich hätte dich verloren», sagte er. «Du hast Glück, dass du noch lebst.»
C. J. nickte. Wegen eines punktierten Lungenflügels und ein paar gebrochener Rippen fiel ihr das Atmen schwer. Und das Sprechen noch schwerer. Glück war ein interessantes Wort, hatte sie festgestellt. Zum zweiten Mal in ihrem Leben hatte ihr ein Psychopath aufgelauert, sie gefangen gehalten und versucht, sie zu töten.
«Chambers …?», fragte sie.
«Tot. Manny ist gerade drüben. Sagt, es sieht aus wie in einem schlechten Horrorfilm, aber es gibt keine Leichen, keine Spur von dem Herz, das du erwähnt hast, überhaupt keine Spur, die Gregory Chambers mit den Cupido-Morden in Verbindung bringt. Es sieht aus, als hätte er dir einen makabren Streich gespielt, um dir einzureden, du hättest einen Unschuldigen zu Tode verurteilt.»
Eine Träne rollte ihr über das Gesicht. Seit
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