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Argus #5

Argus #5

Titel: Argus #5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jilliane Hoffman
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er.
    Der Clown stand über ihr, die dicke Nase und das blutrote Grinsen vom Flackern der Kokos-Duftkerze auf dem Nachttisch erleuchtet. Rote Haarbüschel standen von seinem Kopf ab. Sein Gesicht war strahlend weiß. Er hielt ein langes Sägemesser in der Hand. Durch die Löcher in der Maske konnte sie seine blauen Augen tanzen sehen.
    Sie fing zu schreien an, doch kein Ton kam heraus. Nicht einmal ein Wimmern.
    «Hallo, Chloe, mein Mädchen», flüsterte der Clown, als er sich über sie beugte. «Ich bin wieder da. Wollen wir uns amüsieren?»

    C. J. richtete sich jäh auf. Der Fernseher lief. Eine Werbesendung über Gesichtscreme, die garantiert um Jahre verjüngend wirkte. Keine Kerze brannte. Während sie sich in ihrem leeren Haus umsah, griff sie sich an den Mund, doch da war nur ein Spuckerinnsal, das ihr über das Kinn lief. Sie betrachtete ihre Hände. Sie waren frei, kein Seil, keine Handschellen, keine Plastikbinder. Sie stand auf und ging durchs Zimmer, ihre Füße waren frei.
    Zitternd lehnte sie sich zurück.
    Es war nur ein Albtraum. Es war nicht wirklich passiert.
    C. J. sah auf die Uhr: 5 Uhr 20. Sie hatte höchstens vier Stunden geschlafen. Luna saß winselnd neben ihr. Ihr Hund wusste instinktiv, dass etwas nicht stimmte, auch wenn sie den Eindringling nicht sehen konnte, der sich an ihr vorbei in C. J.s Kopf geschlichen hatte. C. J. stand wieder auf, machte den Fernseher aus und ging in die Küche, um Kaffee aufzusetzen.
    Heute Nacht gab es für sie keinen Schlaf mehr. Sie würde es nicht zulassen.

    Der Nebel war dicht und die Morgenluft kühl. Obwohl der Sommer noch nicht vorbei war, sorgte die Wolkendecke für kältere Temperaturen, und die Sonne würde erst am späten Vormittag herauskommen. C. J. zog sich ihr UCSB-Sweatshirt über, stellte den iPod an und setzte sich die Oakley-Sonnenbrille auf, auch wenn es noch nicht so hell war, dass sie sie brauchte. Es war halb sieben bei gerade mal elf Grad. Von der Veranda des alten einstöckigen Ranchhäuschens, das ihrer Großmutter gehört hatte, betrachtete sie die verschlafene Nachbarschaft von Goleta. Es war niemand zu sehen. Sie holte tief Luft und verschwand in den suppigen Nebel.

    «Sie müssen Ihre Angst überwinden», sagte ihre Therapeutin in New York. «Vergewaltigungsopfer haben Narben, die der Rest der Welt nicht sehen kann. Wenn Sie zulassen, dass sich das Narbengewebe aufbaut, können die Narben irgendwann zu einem Gefängnis werden, Chloe. Sie denken, Sie sind sicherer, wenn Sie sich zurückziehen und einschließen, damit Sie nie wieder jemand überfallen kann, aber das stimmt nicht. Denn damit übt Ihr Vergewaltiger selbst aus der Ferne, ohne Sie anzurühren, Macht über Sie aus, und genau darum ging es ihm, als er Sie überfallen hat. Wenn Sie zulassen, dass er Sie in das Gefängnis Ihrer Narben sperrt, geben Sie ihm genau das, was er will – Kontrolle.»
    «Aber was soll ich tun, wenn ich mich nicht mehr bewegen kann? Wenn ich kaum noch atmen kann?», flüsterte Chloe.
    «Überwinden Sie die Angst, indem Sie sich ihr stellen. Holen Sie sich die Macht zurück. Sperren Sie sich nicht ein. Gehen Sie raus und beweisen Sie, dass er nicht gewinnen wird. Er wird nicht gewinnen. Sagen Sie sich das so lange, bis Sie daran glauben. ‹Er wird nicht gewinnen.›»

    «Er wird nicht gewinnen», sagte C. J. vor sich hin, während sie lief. An stillen Häusern und geschlossenen Läden vorbei, zum Meer hinunter. Joggen war eine Befreiung. Es gab ihr Kraft. Sie brauchte nur ein Paar Turnschuhe, um sich vom Rest der Welt zu befreien, alles und jeden hinter sich zu lassen.
    Wer nicht wusste, was es hieß, eine Vergewaltigung erlebt zu haben, dachte oft, dass man mit der Zeit darüber hinwegkam. So wie körperliche Wunden heilten, sollten auch die seelischen heilen. Am Ende war es doch bloß Sex, etwas, das der Durchschnittserwachsene zwei- bis dreimal die Woche erlebt. Oder häufiger, wenn er Glück hat. Ha, ha . Eine Zeitlang hatte diese Art zu denken sie praktisch in die Isolation getrieben. Die Erwartung, dass sie darüber hinwegkam. Dass es irgendwie besser wurde. Dann war sie Staatsanwältin geworden und hatte mit anderen Vergewaltigungsopfern gearbeitet, hatte deren Geschichten gehört, und da hatte sie verstanden, wie weit verbreitet diese Ignoranz war. Sie wurde vielleicht nicht immer ausgesprochen, doch sie war trotzdem da. C. J. konnte sie spüren.
    Mehr als alles andere betrauerte sie den Verlust ihrer Unschuld. Bis zu dem

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