Argus #5
Nachmittag, nachdem alle Gelegenheit gehabt hatten, die Neuigkeit zu verdauen, berichtete jede gottverdammte Nachrichtensendung von Cupidos Flucht, und Vance behielt recht: Das Wort «Vertuschung» kam höchst großzügig zum Einsatz. Zum Glück war Daria da bereits hier im Micky-Maus-Land, wo schlechte Nachrichten aus Prinzip ignoriert wurden. Sollte allerdings herauskommen, dass es der Fall Lunders war, bei dem Bantling den Ordnungshütern hatte helfen sollen, und Daria diejenige, die Cupido den Deal angeboten hatte, dann würde der morgige Montag mit Sicherheit ein Scheißtag werden. Am Vormittag sollte die SMART-Konferenz beginnen, und im Gegensatz zu den gutgelaunten Touristen auf Nachrichtenentzug schauten deren Teilnehmer allesamt CNN und würden genau wissen, auf wen sie im überfüllten Vortragssaal mit dem Finger zeigen mussten, falls Piers Morgan ihren Namen im Zusammenhang mit Bantlings Flucht nannte. Daria DeBianchi, Assistant State Attorney aus Miami-Dade, stand schließlich auf der Liste der Vortragenden. Aber das war morgen. Im Augenblick erzählten sie in den Nachrichten nur, dass Bantling flüchtig sei und keiner wisse, wo er stecke.
«Pass auf, ich werde nicht aufgeben», sprach sie weiter ins Telefon und schloss die Augen. «Uns, meine ich. Ich werde uns nicht aufgeben. Ich weiß, du hörst meine Nachrichten, und ich werde dir weitere hinterlassen. Es tut mir leid. Immer wieder. Ich will das wiedergutmachen, Manny, wirklich. Aber ich … ich kann es nicht. Ich habe einen beschissenen Fehler gemacht. Kannst du nicht bitte einfach ans Telefon gehen? Du fehlst mir. Bitte ruf mich an, damit wir reden können. Du fehlst mir wirklich.» Sie seufzte. «Ich hasse Mailboxen. Komisch, oder? Ausgerechnet ich. Plötzlich finde ich es schrecklich, Nachrichten zu hinterlassen. Und zwar nur, weil du nicht rangehst. Wir sind doch ein gutes Team, Manny, das sind wir doch. Ich weiß, das findest du auch. Weißt du, ich bin hier gerade auf dieser Konferenz und sitze im Hotel und muss immer daran denken, wie wir das erste Mal zusammen waren. An die erste Nacht …»
«Sie haben noch fünfzehn Sekunden Sprechzeit.»
Verdammt … «Ich muss daran denken, wie wir das erste Mal miteinander geschlafen haben, unsere erste Nacht zusammen, und, und …» Sie stolperte über ihre eigenen Gedanken, dann fiel sie der Länge nach hin, und das Geständnis platzte einfach so aus ihr heraus: «Ich … ich liebe dich. So, jetzt hab ich’s gesagt. Uff! Jetzt musst du mir verzeihen. Das musst du einfach, hörst du? Bitte, Baby …»
«Auf Wiederhören.»
Verdammt! Sie stützte den Kopf in die Hände. Dann holte es sie ein, und sie richtete sich kerzengerade auf und sah sich um.
Hatte sie das gerade allen Ernstes gesagt? Hatte sie gerade «Ich liebe dich» gesagt? Auf eine Mailbox?
Sie durfte auf keinen Fall weitertrinken. Allerdings brauchte sie jetzt ganz dringend noch einen Drink oder lieber gleich zehn, um zu vergessen, dass sie soeben zum ersten Mal «Ich liebe dich» gesagt hatte, auf eine Mailbox, zu einem Mann, der nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte und der ihr nie gesagt hatte, dass er sie liebte. Herrgott … war sie denn schon so verzweifelt? Eigentlich waren sie doch erst im «Ich mag dich wirklich sehr»-Stadium gewesen, als sie wegen Bantling alles versaut hatte. O Gott. Und jetzt rief sie ihn sturzbesoffen an, flehte ihn an, ihr zu verzeihen, und blubberte was von Liebe wie die letzte Stalkerin! Daria stürzte den Rest ihres dritten Cosmopolitan hinunter. Eigentlich hatte dieser Abend nicht mehr schlimmer werden können, aber nein, sie musste natürlich noch eins draufsetzen …
Das Handy piepste in ihrer Hand. Eine neue SMS.
Von Manny. Er konnte ihre letzte Nachricht unmöglich schon abgehört haben, wobei sie gar nicht genau wusste, ob das nun gut oder schlecht war. Und falls doch, würde er mit seinen breiten Fingern ewig brauchen, um ihr zu antworten. Mit angehaltenem Atem öffnete sie die Nachricht:
Sitze mit FLPD an Modic-Fall. Schicke dir o. Collier demnächst Bericht. Vorladung erhalten. Bin Mi zur Aussage beim Termin.
Daria biss sich auf die Lippe. Vielleicht hielt der Schmerz die Tränen zurück. Das Hotel wimmelte nur so von Kollegen aus den diversen Behörden, die alle wegen der SMART-Konferenz hier waren. Morgen früh musste Daria vor einer Gruppe Bezirksleiter und Taskforce-Mitglieder einen Vortrag über die Vorschriften zur Registrierung und Meldepflicht von Sexualstraftätern
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