Argus #5
Bildschirmen überschlugen sich, wie das adrenalintrunkene Publikum bei einem Boxkampf, und Daria wusste, dieses Glück blieb ihr verwehrt …
50
R ichterin Becker trommelte mit dunkelrot lackierten Krallen auf die Richterbank. Das Geräusch hallte durch den halbleeren Gerichtssaal. Dann richtete sie ihren Blick auf Vance Collier. «Ist die Staatsanwaltschaft nun bereit oder nicht?»
«Ich habe ein Problem, Euer Ehren», antwortete Vance mit einer Stimme, die zwischen Wut und Sorge schwankte.
«Das sehe ich. Oder besser gesagt, ich sehe es nicht. Also, wo steckt Ms. DeBianchi?»
Joe Varlack blickte zum wiederholten Mal auf die Uhr und dann zum Tisch der Staatsanwaltschaft hinüber. Er war heute ohne Unterstützung angereist. Neben ihm saß sein Mandant, in einem grauen Anzug von Hugo Boss, die blonden, sonst so verwuschelten Locken bis über die Ohren gestutzt und sittsam zurückgekämmt. Im Gegensatz zu seinem Anwalt zeigte sein Gesicht keine Regung. Hinter Talbot saß eine strahlende Abby Lunders.
«Euer Ehren, mein Büro konnte Ms. DeBianchi bisher nicht erreichen», stotterte Vance. «Sie … ähm … sie hat die letzten Tage bei einer Strafrechtskonferenz in Orlando verbracht und ist heute Morgen nicht zur Arbeit erschienen. Wir versuchen noch, sie ausfindig zu machen.»
«Es ist Ihnen aber schon klar, dass Mr. Varlack ein beschleunigtes Verfahren beantragt hat?», gab die Richterin zurück. «Und dass wir bereits durch den Hurrikan eine Menge Zeit verloren haben?»
«Die Staatsanwaltschaft hat seit Artemis Unmengen zu bewältigen und aufzuarbeiten. Es war sehr schwierig für uns.»
«Ich sage Ihnen ganz offen, Mr. Collier, dafür kann der Angeklagte nichts. Er ist hier. Er ist bereit für seinen Prozess. Und Ms. DeBianchi war ja offensichtlich nicht in Orlando, um dort Hurrikanopfern Nothilfe zu leisten. Vielleicht hat sie sich in Disney World verlaufen?»
«Ich möchte das Gericht darüber in Kenntnis setzen», ließ sich Joe Varlack hochnäsig vernehmen, «dass Ms. Simmons der heutigen Anhörung aufgrund einer plötzlichen Erkrankung fernbleiben musste. Ich bin aber trotzdem vorbereitet und jederzeit bereit, die Verhandlung aufzunehmen. Ein Flugzeug sollte auch dann noch in der Lage sein weiterzufliegen, wenn eine Turbine ausfällt.»
Die Türen des Gerichtssaals öffneten sich, und George Schaible, der Leiter der Abteilung für interne Rechtsfragen bei der Staatsanwaltschaft, kam herein, gefolgt von Darias Sekretärin. Gretchen sah äußerst besorgt aus. Sie blieb neben Schaible stehen, der Vance zu sich heranwinkte.
Auch Manny war gerade in den Gerichtssaal gekommen, wie immer zu spät, diesmal allerdings nur eine knappe Viertelstunde. Er trug den marineblauen Anzug, den Daria und er an einem verregneten Sonntagnachmittag zusammen gekauft hatten, und registrierte erstaunt, dass die Party noch gar nicht in vollem Gange war. Dass Daria ihn nicht mit ihren glühenden Glotzerchen anfunkelte und gleichzeitig erleichtert lächelte, weil er doch noch aufgetaucht war. Er hatte sich vorgenommen, es ihr heute richtig zu zeigen. Seit ihrem beschwipsten Anruf bei ihm hatten sie nicht mehr miteinander gesprochen. Doch jetzt sah er nur einen finster blickenden Rechtsabteilungsleiter, der den Kopf zu dem schüttelte, was Collier sagte, und Darias Sekretärin, die die Achseln zuckte. Von Daria selbst fehlte jede Spur. Eine scheußliche Vorahnung braute sich in Mannys Magen zusammen.
Heute früh hatte er dem Wiedersehen mit einer Mischung aus Ärger und Aufregung entgegengesehen. Er hatte während der letzten beiden Tage viel zu oft an ihren Anruf gedacht und war zu dem Schluss gekommen, dass sie entweder mit ihm Schlitten fuhr oder aber ihn tatsächlich liebte und es bloß nicht schaffte, ihren gigantischen italienischen Stolz zu überwinden, anzurufen und es ihm noch einmal nüchtern zu sagen. Das machte ihn noch viel wütender. Und richtig nervös. Er wusste also beim besten Willen nicht, was er nach der Anhörung tun würde: sie anbrüllen oder sie auf den Flur hinauszerren und küssen. Jetzt allerdings war der Ärger verschwunden. Jetzt hatte er nur noch Angst. Er erreichte das Dreiergespann, das zwischen den Zuschauerreihen stand, gerade in dem Moment, als Vance sich wieder der Richterin zuwandte.
«Euer Ehren, wir haben wirklich ein massives Problem», sagte er. «Ich muss um Vertagung bis mindestens morgen bitten.»
«Das ist doch wohl ein Witz …», schimpfte Varlack vernehmlich.
«Wo ist
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