Argus #5
Vertagung.»
«Na, viel Glück. Letzte Nacht hast du mir lang und breit erzählt, was für ein harter Knochen dein Richter ist.»
«Und schon geht’s wieder los …» Dominick seufzte. «Du tust es schon wieder. Du ziehst deine Mauern hoch. Hat dir die letzte Nacht denn nichts bedeutet?»
«Ich komme, sobald der Prozess vorbei ist», sagte sie noch einmal. «Ich weiß, du glaubst mir nicht, aber ich komme ganz bestimmt.»
«Mein Gott, C. J., ich weiß doch nicht mal, ob es überhaupt gut ist, nach Chicago zurückzugehen.» Er fuhr sich durchs Haar. «Ich muss über so vieles nachdenken. Leute anrufen. Ich denke hier ziemlich ins Blaue hinein, und du hilfst mir kein bisschen.»
«Du bist der leitende Ermittler in einem Mordfall – du kannst deinen Ankläger genauso wenig hängenlassen, wie ich hier sang- und klanglos verschwinden kann. So viel steht fest. Du musst deinen Fall abschließen und ich meinen.» Sie musterte die zugezogenen Jalousien. «Und er sitzt schließlich nicht gleich da draußen.»
«Wir haben keine Ahnung, wo er ist. Das allein wäre Grund genug gewesen, gestern Abend schon aufzubrechen.» Dominick stand auf und zog seine Hose an.
«Auf keinen Fall. Du hast selbst gesagt, ich soll nicht mehr weglaufen.»
«Vor mir, meinte ich.»
«Ich weiß, was du denkst», sagte sie.
«Schön für dich.» Dominick sah sie an. «Ich weiß nämlich selber nicht mehr, was ich denken soll. Ich denke, die letzte Nacht war …»
Sie rutschte über das Bett, bis sie bei ihm war. «Genau so, wie es sein sollte. Nun tu doch nicht so, als wäre es das letzte Mal gewesen. Ich meine es ernst. Ich komme nach Hause. Ich lasse mir helfen. Und ich laufe nie wieder vor dir weg. Aber ich werde auch nicht mit fliegenden Fahnen die Stadt verlassen, nur weil er angeblich auf der Suche nach mir ist. Ich brauche nur noch ein paar Tage.»
Er schüttelte den Kopf. «Du hast schon so viel versprochen, C. J. Immer bei mir zu bleiben, zum Beispiel, bis dass der Tod uns scheidet. Aber das hat dich nicht daran gehindert, einfach zu verschwinden. Ich glaube, ich kann das nicht mehr.»
«Nur eine Woche, Dominick. Mehr brauche ich nicht», sagte sie, während er sich abwandte und im Bad verschwand. «Gib mir nur eine Woche, dann bleibe ich für immer bei dir.»
49
U nscharf schob sich das Zimmer in ihre Wahrnehmung, dann verschwand es wieder daraus. Rein, raus. Rein, raus. Es fühlte sich an, als hätte sie Gewichte an den Lidern. Daria schloss die Augen wieder. Sie war so unendlich müde …
Ihr Mund fühlte sich trocken und klebrig an, die Zunge geschwollen, die Kehle ausgedörrt. Sie stellte sich vor, jemand würde einen großen, kühlen XXL-Becher mit eiskaltem Wasser über ihr ausleeren. Mit offenem Mund leckte sie es gierig auf, während es ihr über Nacken und Rücken rann. Das kalte Wasser würde den Schmerz in der Kehle lindern. Es würde sie aufwecken. Sie aus der Erschöpfungsstarre reißen.
Ihre Lider flatterten, öffneten sich.
Das muss ein Traum sein , dachte sie, als das fremde Zimmer sich vor ihr scharf stellte und dann wieder verschwamm, wie der Horizont auf einem Schiff, das über die Wellen tanzt. Auf und ab. Rein und raus. Sie musste sich aus diesem Traum befreien. Unbedingt. Sonst würde sie heute bei der Arbeit viel zu müde sein. Musste sie nicht einen Vortrag halten? Das war doch heute? Oder nein, sie musste vor Gericht. Sie hatte doch eine Anhörung, oder?
Verflixt! Jetzt wach auf, Mädchen! Konzentrier dich!
Dann merkte sie, dass ihr die Arme weh taten. Vor allem die Schultern. Sie taten nicht einfach nur weh – sie pochten vor Schmerz. Es war, als hätte jemand den Schmerz aufgedreht wie den Lautstärkeregler am Radio, wenn sein Lieblingssong lief. Ihre Achseln brannten, ihr Rücken war ganz verdreht. Und ihre Handgelenke – die spürte sie gar nicht mehr. Dafür stach es in den Fingern wie von tausend Nadeln.
Sie schloss die Augen wieder, und es fing an zu regnen. Erst tat das gut.
Und dann nicht mehr.
«Na, komm. Bleib bei mir. Konzentrier dich», sagte eine Stimme, die sie nicht kannte.
Sie zappelte, versuchte, aus dem Regen zu kommen. Aber sie konnte die Arme nicht bewegen – die waren irgendwo festgebunden. An der Decke. Aber ihre Füße berührten den Boden, die Zehen schrammten vor und zurück. Auch das tat weh. Alles tat weh. O Gott, alles pochte vor Schmerz.
Sie öffnete die Augen, und vor ihr stand ein Mann mit nacktem Oberkörper, den sie noch nie gesehen hatte, und
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