Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Argus #5

Argus #5

Titel: Argus #5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jilliane Hoffman
Vom Netzwerk:
der mit nacktem Oberkörper dasaß und grinste. «Geht mir nicht anders. Wir sitzen hier schon die ganze Nacht und warten, dass du endlich aufwachst, Lena. Aber langsam läuft uns die Zeit davon. In ein paar Stunden muss ich vor Gericht sein.»
    «Vielleicht können sie es ja auf heute Abend verschieben», schlug Abby Lunders vor. «Dann können wir auch gleich deine Freilassung feiern.»
    Daria schloss die Augen wieder und stellte sich tot. Wäre sie bloß schon tot! Sie wusste, was sie erwartete. Anstatt dass ihr ganzes Leben noch einmal vor ihren Augen ablief, wie es im Film immer behauptet wurde, spulte sich ihr Tod vor ihr ab, noch ehe er eintrat. Erneut musste sie an Mannys Worte denken:
    Das Video ist 42 Sekunden lang, Counselor. Stellen Sie sich einfach vor, was wir nicht zu sehen bekommen haben, die Szenen, die im Schneideraum auf dem Boden gelandet sind.
    Jetzt brauchte sie sich nichts mehr vorzustellen. Dieser Film wurde von ihren Mördern gemacht. Sie befand sich mitten im Schneideraum.
    Und dann sah sie, was danach kommen würde. Keine Beerdigungsszenen, keine Trauerreden, keine Blumen, keine weinenden Freunde und Verwandten. Nein. Stattdessen scharten sich Mordermittler und Streifenpolizisten und Spurensicherungsbeamte um ihren nackten, misshandelten Körper, der irgendwo auf einem Müllhaufen lag, von Ratten und Ungeziefer angenagt, die weit aufgerissenen Augen trüb und verhangen. Die freundlichen, vertrauten Gesichter, die sie umringten, gehörten Kollegen aus der Rechtsmedizin, der Kriminaltechnik, der Staatsanwaltschaft. Detectives, mit denen sie zahllose Male zusammengearbeitet, Tatortermittler, die sie in den Zeugenstand gerufen hatte, Staatsanwaltskollegen, mit denen sie beim Mittagessen gewesen war – sie alle betatschten ihre nackte Leiche und begutachteten die scheußlichen Tatortfotos, die auf ewig auf die Rechner irgendeines Polizeireviers und in dessen Asservatenkammern gebannt blieben, von wo sie vielleicht eines Tages den Weg vors Gericht fanden. Und womöglich auch ins Internet.
    Bitte , dachte sie, und die Tränen liefen ihr über das Gesicht, mach, dass sie nicht Manny rufen. Mach, dass nicht Manny mich in dem Müllcontainer findet …
    Manny. Seltsam, dass die letzten Gedanken, die sie haben würde, ausgerechnet ihm galten. Wirklich eigenartig. Wer hätte das gedacht, als er vor Monaten mit gewaltiger Verspätung zur Vorprüfung in ihr Büro gekommen war? Und nun würde er es nie erfahren. Wenn sie sich nur wieder versöhnt hätten! Wenn er ihr nur vergeben hätte! Wenn sie die letzten paar Monate nur noch einmal erleben könnte! Dann hätte sie diesen Fall niemals angenommen. Diesen Fall, der sie von der Liste der Veteranen in die Ruhmeshalle der Staatsanwaltschaft katapultieren sollte.
    «Eins darfst du nicht vergessen, Schätzchen», hatte ihr Vater ihr einmal gepredigt, als sie gerade zur Anklage gewechselt und ein Geburtstagsessen der Familie verpasst hatte. «Hast du jemals einen Grabstein gesehen, auf dem stand: ‹Einer fleißigen Arbeiterin› oder ‹Unserer geliebten Chefin›? Nein. Rück das Leben in die richtige Perspektive, mehr sage ich gar nicht. Überleg dir, was wirklich zählt, wenn das Ende naht.»
    Alles, was sie in den letzten fünf Jahren geleistet hatte, all die Abendschichten und die verschwendeten Wochenenden, die Prozesse, die Anhörungen, die Sorgen, der Stress – das alles würde nicht zählen, wenn es ans Ende ging. Es würde auch noch Straftäter geben, wenn man Daria längst begraben hatte. Sie hatte nichts bewirkt, die Welt nicht verändert. Und wenn sie nicht mehr da war, würden all die Bösen, die sie hinter Gitter gebracht hatte, sowieso irgendwann wieder freikommen. Sie würden die Sonne wiedersehen, ihre Kinder küssen, ihre Liebsten in die Arme schließen …
    Der halbnackte Mann kehrte zurück. Das spürte sie mit geschlossenen Augen. Sie hörte, wie er sich näherte, seine Sohlen knirschten auf unsichtbaren Steinchen, die den Betonboden bedeckten. Sie roch seinen Schweiß. Sie spürte, dass er sie ansah. Sie musterte. Überlegte, was er als Nächstes tun sollte.
    Reagier einfach nicht , dachte sie. Stell dich tot. Vielleicht lassen sie dich dann in Ruhe, wie bei den Tieren. Vielleicht strichen sie all die Scheußlichkeiten, die Daria jetzt noch vom Tod trennten, weil es zu langweilig war, mit ihr zu spielen. Vielleicht wäre es dann schneller zu Ende.
    Doch dann ging der halbnackte Mann mit der Zange auf sie los, und die Stimmen von den

Weitere Kostenlose Bücher