Argus #5
Fall. Ich kenne sie besser als jeder andere hier. Und sie ist garantiert nicht abgehauen, um sich ein paar Lines reinzuziehen oder sich ein bisschen frei zu fühlen und einfach nur von diesem ganzen Mist hier und von uns wegzukommen. Da stimmt was nicht.»
«Das sehe ich auch so», sagte Gretchen leise. «Ich habe nie mitbekommen, dass Daria Drogen oder Ähnliches genommen hätte. Aber ich weiß, dass der Fall sie sehr belastet hat.»
Der Fall.
Plötzlich fiel Manny das Gespräch wieder ein, das er mit Lunders geführt hatte. Er schaute durch den Türspalt in den Gerichtssaal, wo Talbot mit seinem Anwalt schäkerte, während seine Mutter in ihrer tief ausgeschnittenen Bluse lächelnd zusah.
Es ist wirklich schade, dass meine kleine, scharfe, unfähige Staatsanwältin heute nicht dabei sein konnte … Die kleine Lena soll sich um ihren Garten kümmern.
Er erinnerte sich daran, wie verängstigt Daria auf Lunders’ rätselhafte Nachricht reagiert und wie sie ihm erzählt hatte, dass jemand alle Rosen in ihrem Garten abgeschnitten, ihren einst so farbenfrohen Garten zu einem Friedhof voller nackter Stängel und Dornen gemacht hatte. Damals hatte Manny die Bedrohung nicht ernst genommen, aber jetzt …
Er sah wieder zu Vance und seinem Kumpel von der Rechtsabteilung hin und deutete in den Gerichtssaal. «Wo war der da eigentlich in den letzten drei Tagen?»
«Lunders? Unter Hausarrest», antwortete Vance und warf selbst einen Blick in den Gerichtssaal. «Glauben Sie, er hat was damit zu tun?»
«Vielleicht … ja, ich glaube, das wäre eindeutig eine Möglichkeit.»
«Ich werde gleich bei der Kautionsabteilung nachfragen, aber eigentlich muss er an den Wochenenden und außerhalb der Arbeitszeiten grundsätzlich zu Hause bleiben und wird rund um die Uhr durch eine elektronische GPS-Fußfessel überwacht, die seinen Bewährungsbeamten alarmiert, sobald er einen Fuß vom Grundstück seiner Eltern setzt. Wenn etwas Derartiges vorgefallen wäre, vor allem so kurz vor der Anhörung, dann hätte man mich angerufen, und ich hätte heute früh gleich einen Verstoß gegen die Kautionsbedingungen auf dem Schreibtisch gehabt und einen Antrag auf erneute Inhaftierung.» Er zog sein Handy heraus und wählte eine Nummer. «Hier spricht Chief Assistant Vance Collier von der Staatsanwaltschaft Miami-Dade», meldete er sich und ging ein Stück den Gang hinunter.
Manny, Gretchen und George wechselten einen langen Blick. Schließlich sprach Darias Sekretärin aus, was alle dachten. «Ich hoffe nur, es geht ihr gut.»
Kurze Zeit später war Vance wieder da.
«Ich fahre nach Fort Lauderdale …», setzte Manny an.
«Kommt überhaupt nicht in Frage. Haben Sie nicht gehört, was Richterin Becker gesagt hat?»
«Doch. Aber ich habe auch gehört, dass Ihre Hauptanklägerin verschwunden ist.»
Vance schüttelte den Kopf. «Das mag jetzt herzlos klingen, Detective, aber wir haben in drei Stunden eine Anhörung. Und diese Anhörung wird stattfinden, ob uns das nun passt oder nicht. Ich werde nicht darauf setzen, dass Daria um kurz vor zwei hereinspaziert kommt, um den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Und dieser Antrag darf nicht durchkommen. Falls das nämlich passiert, kommt ein Mörder frei, und das werde ich auf keinen Fall zulassen. Wir beide werden uns jetzt also damit vertraut machen, was Sie aussagen werden, damit wir zumindest ein perverses Schwein von der Straße kriegen.»
Manny sah wieder in den Gerichtssaal. «Wo war er?»
«Daheim mit seiner Mutter, die ganze Nacht», antwortete Vance leise. «Die beiden waren allein – der Vater ist auf Geschäftsreise im Ausland. Der Junge ist noch nicht mal zur Arbeit gegangen. Sein Bewährungsbeamter hat zufällig gerade gestern Abend bei ihm vorbeigeschaut, da war er zu Hause, und alles wirkte ganz normal. Er meinte, Talbot Lunders macht nichts anderes, als Filme zu gucken und im Internet zu surfen.»
52
Z um ersten Mal seit langer, langer Zeit schwitzte Chief Felony Assistant Vance Collier wieder einmal in einem Gerichtssaal, obwohl die Klimaanlage bestens funktionierte. Eigentlich hätte sich Daria um den Antrag auf Aufhebung des Durchsuchungsbefehls von Abby Lunders’ Mercedes kümmern sollen. Sie hatte immer ganz zuversichtlich geklungen, den Antrag abschmettern zu können. Als Referatsleiterin hatte sie bereits genügend solcher Anträge verhandelt und kannte die rechtlichen Grundlagen, mit denen ein in Zweifel gezogener Durchsuchungsbefehl verteidigt werden konnte.
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