Argus #5
war tot, eine Tochter hatte ihre Mutter verloren, eine Frau ihren Mann, und ein Kind musste ohne seinen Vater aufwachsen. Das Leben so vieler Menschen war unwiderruflich anders geworden. Daran änderte auch der Schuldspruch nichts.
Jetzt gab es keinen Grund mehr zu warten, bis der Angeklagte das Gericht verlassen hatte, bevor C. J. selbst gehen konnte. Sie packte ihre Akten zusammen, gab Jessica Kassner die Hand und versicherte ihr noch einmal, dass das Volk bei der Urteilsverkündung, die der Richter für Oktober angesetzt hatte, das höchstmögliche Strafmaß für ihren Ex-Mann beantragen würde. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, weil Jessica Kassner davon ausging, dass Assistant District Attorney Christina Towns auch dann am Podium stehen und auf lebenslänglich plädieren würde. Dabei wusste C. J. selbst bereits, dass sie zu dem Zeitpunkt nicht mehr bei der Staatsanwaltschaft Santa Barbara sein würde. Sie sah Jessica nach, als sie langsam den Gerichtssaal verließ, in einem langärmeligen Kostüm, das die hässlichen Brandnarben an ihren Armen verbarg. Kurz nach ihr ging die untröstliche und sichtlich um Jahre gealterte Ehefrau mit ihrem Baby nach draußen. Nein, heute gab es keine Sieger. Es gab beim besten Willen nichts zu feiern.
Es war erst halb drei am Nachmittag. In den Straßen rund ums Gericht und die City Hall tummelten sich die Angestellten, die aus der Mittagspause kamen, die braven Bürger, die ihre Stromrechnung bezahlen wollten, und die Touristen mit ihren Fotoapparaten. Dutzende und Aberdutzende fremder Gesichter. Bill Bantling war ein Meister der Verkleidung. C. J. wusste, er konnte überall sein. Er konnte jeder x-Beliebige sein. Dass sie ihn nicht sehen konnte, hieß noch lange nicht, dass er nicht da war. Das Herz klopfte ihr heftig in der Brust. Sie kämpfte die drohende Panikattacke nieder und überquerte die Straße zum Büro.
Dort angekommen, informierte sie Jason Mucci – ihren Vorgesetzten, der ihr gegenüber merklich verlegen war, seit sie seine Begleitung beim Autokauf abgelehnt hatte – über den Schuldspruch und sagte ihm, was sie für die Urteilsverkündung Anfang Oktober erwartete. Dann sagte sie ihm, sie werde sich ab diesem Nachmittag eine Zeitlang frei nehmen. Er nickte nur, stellte keine weiteren Fragen. Aber natürlich glaubte auch er, wie Jessica Kassner, dass sie wiederkommen würde. C. J. ging weiter in ihr eigenes Büro, um die Arbeit auf ihrem Schreibtisch abzutragen. Sie wollte keine offenen Probleme übrig lassen, vor allem nicht vor dem Hintergrund, dass sie nicht zurückkehren würde. Bei allen laufenden Straffällen gab es irgendwelche Probleme, mit denen sich jemand befassen musste, und die schrieb sie auf leuchtend pinkfarbene Post-its und klebte sie auf die jeweiligen Akten.
Als sie schließlich wieder zum Fenster schaute, war es draußen bereits dunkel. Die Straßen waren still und menschenleer, das Bürogebäude verlassen, bis auf die Putzkolonne. C. J. ließ den Blick ein letztes Mal durch den Raum wandern, dann packte sie ihre Akten zusammen und griff nach ihrer Handtasche.
Sie würde das Versprechen halten, das sie Dominick gegeben hatte. Er glaubte nicht daran, er traute ihr nicht mehr. Aber sie wusste, dass sie es halten würde. Er hatte ihr eine zweite Chance gegeben, und sie würde dafür sorgen, dass zwischen ihnen alles wieder gut wurde. Sie schluckte den Kloß, der ihr in der Kehle saß.
Aber vorher hatte sie noch etwas zu erledigen.
Sie schaltete das Licht aus und machte sich auf den Heimweg.
58
M anny wusste nicht genau, ob es an dem Sixpack Bier lag oder daran, dass er die ganze Nacht kein Auge zugetan hatte, während er die Flaschen leerte, doch langsam verschwamm die Eingangstür der Villa in Palm Beach. Er setzte das Fernglas ab und rieb sich die Augen. Sie schmerzten. Alles tat ihm weh. Aber nirgends war der Schmerz so stark wie in der Herzgegend.
Fünf Tage. Fünf Tage waren es inzwischen, seit Daria vermisst wurde, seit sie das Hilton verlassen hatte und einfach verschwunden war. Jedes Polizeirevier von Orlando bis Miami war fieberhaft auf der Suche nach ihr. Und jedes Polizeirevier im ganzen Land hatte ihr Foto zugeschickt bekommen und war darüber informiert, dass sie unter verdächtigen Umständen verschwunden war. Fahndungen waren herausgegeben, eine Vermisstenanzeige im FCIC/NCIC geschaltet. Aber es gab immer noch keine Anhaltspunkte, wo sie suchen sollten.
Der bisher vielversprechendste Hinweis war zugleich auch der
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